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April 2024

Zeit für den inneren Frühjahrsputz

Bestimmt kennen Sie das auch: Es ist Frühling, und viele von uns verspüren das Bedürfnis nach einem Frühjahrsputz. Das hat kein konkretes Datum so wie der Frühlingsanfang, sondern es handelt sich dabei um einen inneren Drang, einen Impuls, der sich einfach ganz von selbst irgendwann zu Beginn des Frühjahres meldet. Bei meiner Mutter zum Beispiel müssen dann Gardinen gewaschen werden, oder ich habe das Bedürfnis, in irgendwelchen Ecken zu putzen, die ich bis dahin übersehen oder ignoriert hatte.

Ein ganz banaler Grund dafür ist natürlich, dass wir, sobald die Sonne wieder heller und öfter scheint, den Dreck viel eher sehen und dadurch als störender wahrnehmen als im dunkleren Winter. Doch viel entscheidender finde ich, dass wir, wenn die Sonne wieder mehr scheint, auch wieder viel neue Lebenskraft und damit mehr inneren Antrieb fühlen. Wenn die Tage länger werden, die kleinen Sprösslinge aus dem Boden schießen, sich erste Blüten zeigen und das Grün der kleinen, sich entfaltenden Blättchen an Büschen und Bäumen förmlich leuchtet, spüren auch wir einen Wunsch nach Neuem, vielleicht sogar Aufbruch.

Dieser Impuls erstreckt sich aber nicht nur auf Haus, Wohnung und Garten, sondern in einem weiteren Sinne auf unser ganzes Leben, also auch auf unseres Inneres. Das Frühjahr ist insofern der ideale Zeitpunkt für einen inneren Frühjahrsputz.

Was ich damit meine? Wenn Sie ein wenig Zeit haben, erzähle ich Ihnen nun gerne mehr darüber.

 

Aus innerem Antrieb

Der Anlass, durch den ich auf dieses Thema gekommen bin, hat nicht nur mit dem unübersehbaren Frühlingseinzug zu tun, sondern auch damit, dass ich gerade in den letzten Wochen das Gefühl hatte, öfter als sonst Klienten bei mir zu haben, die besonders angefüllt waren mit Verpflichtungen und Belastungen. Und deswegen habe ich noch öfter als sonst in der Hypnose die Ressourcenarbeit damit begonnen, eine Art von hypnotischer Reinigungsarbeit durchzuführen.

Auf der körperlichen Ebene hat das im ersten Schritt etwas damit zu tun, im autonomen Nervensystem einen Umschaltprozess für umfassende Regeneration und Stärkung des Immunsystems anzustoßen. Das bedeutet in erster Linie, dass zum Beispiel Muskeln sich lösen dürfen, die Pulsschlagfrequenz abnimmt und der Blutdruck dadurch niedriger wird, die Atmung regelmäßiger wird und sich vertieft, sodass man – in sitzender oder auch liegender Position – erst einmal deutlich spürt: Hier kann ich alle Anspannung loswerden, die ich, möglicherweise sogar ohne es zu merken, die ganze Zeit mit mir herumgetragen hatte.

In der inneren Bilderwelt kann man sich zusätzlich ganz leicht vorstellen, dass es etwas gibt, was jetzt einfach auch mal wieder raus und weg darf, weil es, wie der eingeatmete Atem, verbraucht, alt oder überflüssig ist. Wie der Schmutz beim Putzen in den Putzeimer kommt, so kann sich auch hier alles herauslösen. Das kann in der Hypnose z. B. mit dem Bild eines inneren Staubsaugers oder eines inneren Schwammes verbunden sein, der vom Unbewussten in Betrieb genommen wird. Auf diesen Weise können wir den Stress und die unangenehmen, belastenden Gefühle loswerden.

Der innere Frühjahrsputz kann sogar intuitiv mit dem äußeren Frühjahrsputz zusammentreffen, wenn auf dem Schreibtisch schon seit Monaten Stapel von Papieren liegen, die ich bisher noch nicht weggeräumt und abgelegt habe. Wenn ich das Aufräumen nun endlich im Frühjahr in Angriff nehme, ist es nachher ordentlicher in der Wohnung, und ich kann nun den Schreibtisch unter dem Papierstapel endlich einmal wieder komplett nutzen.

Doch das ist noch nicht alles: Zugleich ist solche eine Aktion eine Befreiung in meinem eigenen Inneren, weil ich Vorgänge aus meinem Kopf verabschieden und dadurch wieder freier denken kann. Mit mehr innerem Raum wiederum gehen lästige Dinge leichter von der Hand. So ist das äußere Putzen oder Aufräumen manchmal wie ein inneres Tor zu etwas, was ich in mir selbst als erleichternd empfinde.

Das Gute an dieser Frühjahrswahrnehmung und eben diesem inneren Frühjahrsputz ist, dass wir sie uns eben nicht vornehmen müssen, sondern lediglich als eine Art „Putzimpuls“ wahrnehmen und diese innere Anregung aufnehmen müssen, um ihr nachzugehen und die damit verbundene Aufbruchstimmung für uns zu nutzen.

Und wenn wir Lust dazu haben, könnten wir das Aufräumen sogar noch ein bisschen systematischer angehen. Wir können uns nun die Fragen stellen: Was von dem, das wir über den Winter gedacht und gemacht haben, brauchen wir jetzt, im Frühling, möglicherweise gar nicht mehr so sehr? Oder finden es weniger toll? Welche unserer Gewohnheiten – oder Überzeugungen – wollen wir weiter beibehalten, und welche nicht?

Wenn wir uns zum Beispiel im Winter meistens direkt nach der Arbeit auf die Couch gelegt und Serie geschaut haben: Passt das denn jetzt noch? Vielleicht machen wir stattdessen aus spontaner Lust und Laune eine Inventur im Kleiderschrank oder erlauben uns eine neue Frisur – weil wir Lust haben, uns zu verändern.

Wenn nun manche unter Ihnen vielleicht noch etwas altmodisch denken sollten, Kleiderschrank und Frisur wären doch eher typische Frauenthemen, kann ich Ihnen auch von der TV-Werbung einer Baumarktkette erzählen: Dort windet sich ein Mann aus einem Kokon, in den er an einem Baum hängend verpuppt war, heraus und nähert sich darauf – anfangs noch etwas wankend und dann immer fester und begeisterter – einer Gruppe von hämmernden, sägenden und zimmernden Heimwerker und Selbermachern, die ihn schon von Weitem begeistert begrüßen, begleitet von dem Slogan: „Jeder Frühjahr ein neuer Anfang“.

Nicht umsonst gibt es neben dem Begriff der Frühjahrsmüdigkeit auch den der sogenannten Frühlingsgefühle, die solch eine Aufbruchstimmung beinhalten.

 

Was tut mir gut?

Ich finde, der innere Frühjahrsputz hat einen Platz in unserem Leben verdient. Doch weil er nicht an einem konkreten Termin hängt, sondern von einem inneren Antrieb gesteuert wird, geschieht er eben nicht aus einer Pflicht heraus und hat deshalb auch kein festes Programm, sondern bietet verschiedene Möglichkeiten.

Diese Art von Veränderung von innen folgt anderen Gesetzmäßigkeiten, als wenn ich mir mit Planung etwas konkret vornehme. Unter diesem Gesichtspunkt haben innerer und äußerer Frühjahrsputz auch etwas miteinander zu tun. Putze ich meine Wohnung, damit alles irgendwie glänzt und strahlt und alle wieder sehen, wie sauber es hier ist? Oder darf die Wohnung eher ein Spiegel meines eigenen inneren Befindens sein?

Im ersten Fall fange ich mit dem offensichtlichen Schmutz an, da, wo es am dreckigsten ist. Wenn ich aber dem inneren Drang folge, fange ich da an, wo es mich am meisten stört. Und das muss eben nicht die Stelle sein, die andere registrieren, sondern sie kann ganz woanders, vielleicht auch im für andere Verborgenen sein. 

Für den inneren Frühjahrsputz kann das zum Beispiel bedeuten: Bisher habe ich vielleicht gedacht, dass mein Jahr nur dann richtig gut wird, wenn ich im Frühling wieder mit dem Triathlon beginne. In den vergangenen Jahren bin ich schließlich extrem leistungsfähig gewesen und hatte mir ja auch vorgenommen, dieses Jahr an einigen Wettbewerben teilzunehmen.

Doch möglicherweise merke ich jetzt, dass es für mich genauso schön oder gar schöner ist, einfach nur im See zu schwimmen und das Fahrradfahren hinterher sein zu lassen – oder auch genau andersherum, weil der See noch etwas zu kühl ist An dieser Stelle der inneren Fährte zu folgen und zu schauen, wohin mich die führt – ich finde, das ist ein guter Weg beim inneren Frühjahrsputz..

Vor Kurzem erzählte mir zum Beispiel jemand von einer Reise, die ihn nach einiger Zeit sich selbst nähergebracht hatte, und fand dann die Formulierung, er habe über diese Reise begonnen, „seiner eigenen bisherigen Identität nicht mehr komplett zu vertrauen“.  Mir gefiel dieser Gedanke.

Vielleicht, dachte ich, müssen wir ja nicht alles, was wir bisher gedacht und getan haben, automatisch  immer als feststehenden Teil unserer selbst sehen. Sondern wir könnten auch sagen: Wenn ich über den Winter zugenommen und auch weniger Sport getrieben habe und mein Körper an allen möglichen Stellen zieht und spannt – wie wäre es, wenn ich jetzt trotz meiner zwei, drei Kilo mehr, einfach weil ich Lust darauf habe, in die Sauna gehe, bevor ich mit dem Hanteltraining anfange?

Es kann eine Form von innerer Reinigung sein, nicht nur auf die Planung zu schauen, sondern darauf, was mir im gut tut. Es könnte es ja sein, dass ich zum Beispiel automatisch denke, es sei wie jedes Jahr wieder an der Zeit, den Kleiderschrank auszumisten, ich aber dann spüre, dass es im Moment etwas viel Wichtigeres gibt. Etwas Wichtiges, wo ich spontan anknüpfen möchte.

Denn die Impulse, die aus unserem Inneren kommen, sind eben nicht notwendigerweise immer das, was unser Kopf für sinnvoll erachtet. Sondern manchmal gibt es ein Bedürfnis, irgendwo anders anzusetzen, und von da aus geht es dann wieder weiter.

Natürlich könnte es auch etwas Größeres sein, das ich loswerden will oder hinter mir lassen kann. Nun geht es vielleicht sogar darum, diesen Tag erst einmal dafür zu nutzen, meine Bedürfnisse herauszufinden, indem ich gar nichts „Bestimmtes“ mache und überhaupt kein Programm habe? Der Anknüpfungspunkt an dieser Stelle sind immer meine Gedanken und Gefühle, meine Körperempfindungen und das, was ich – vielleicht allein, vielleicht in der Verbindung mit anderen Menschen – tun möchte.

 

Raum geben

Will ich Ihnen nun mit dieser Idee vom inneren Frühjahrsputz einen weiteren der ständig überall zu lesenden und zu hörenden Impulse zur Selbstoptimierung geben? Damit Sie neue Heimwerker- oder andere Projekte angehen, vielleicht endlich die zwei überflüssigen Kilo vom Winter wieder abnehmen, Ihre Frisur wieder mehr hermacht, Sie schicke neue Klamotten tragen und sich von denen trennen, die Löcher haben?

Nein, das wäre ein großes Missverständnis. Es geht mir hier nicht um irgendeine Form von Optimierung, sondern eher um ein inneres Ausmisten.

Es geht also nicht um Aktionismus wie manchmal beim Putzen an einer Stelle, die sehr hartnäckig verschmutzt ist, oder bei einem Fleck auf der Kleidung, den ich nicht sofort wegbekomme: Verbissenes Schrubben und Reiben führt dabei oft nur zu Kratzern oder irreversiblen Spuren. Sondern es geht um achtsames, bewusstes Handeln.

Zum Beispiel, wenn wir, allein zu Haus, auf einmal ein ganz unangenehmes Gefühl, einen Druck auf der Brust verspüren und uns traurig fühlen. Manchmal behandeln wir uns dann wie den Fleck, bei dem wir nur dafür sorgen, ihn so schnell wie möglich zu entfernen, weil wir ihn unsichtbar machen wollen. Denn er stört ja das Bild, das wir selbst oder andere von uns haben. Zu schnell stürzen wir uns dann vielleicht in ein Projekt, verschönern zum Beispiel die Wohnung oder bestellen etwas im Internet, das uns ablenkt.

Viel sinnvoller beim inneren Frühjahrsputz ist es, wenn wir diesen „Gefühlsfleck“ dann nicht sofort mit aller Gewalt zu entfernen versuchen, sondern ihn erst einmal wahrnehmen, würdigen, indem wir vielleicht etwas dazu aufschreiben, mit jemandem darüber sprechen oder ihn auf einem Spaziergang auf uns wirken und entwickeln lassen – und uns so Raum geben und Zeit nehmen, das alles in Ruhe anzugehen und einen Weg zu finden, der innerlich „stimmig“ ist. Wenn wir uns also darum auf eine Weise bemühen, die dem hinter dem Fleck stehenden Thema auch wirklich gerecht wird.

Ich möchte Sie heute dazu ermuntern, sich zu öffnen für das Experiment, dem Lockruf des Frühlingsgefühls in ihnen zu folgen, ohne gleich ein bestimmtes Ziel damit zu verfolgen, von dem Sie schon vorher wissen wollen, wie es hinterher aussehen muss. Sich neu zu erleben, ohne dass dabei unbedingt etwas Sinnvolles herauskommen muss, kann so viel Spaß machen! Ganz zwanglos – einfach offen, aufmerksam, neugierig und in großer Freiheit.