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Die Schildkröte und mein neues Buch

Vor einigen Wochen saß ich wieder einmal abends an meinem Schreibtisch, und wie so oft zeigte sich nach einiger Zeit auch meine liebe Schildkröte. Bedächtig trottete sie auf mich zu, musterte mich mit unergründlichem Blick und fragte mich dann neugierig: „Womit beschäftigst du dich?“

„Schau mal, hier ist mein neues Buch, es ist gerade erschienen“, antwortete ich und hielt ihr das frischgebackene Buch nicht ohne Stolz vor die Nase. „Da ist ja eine Schildkröte abgebildet, soll ich das etwa sein?“, beäugte die Schildkröte das Cover etwas skeptisch. „Wie heißt das Buch denn überhaupt?“

„Das Buch heißt ‚Schildkröte trifft Schneekristall – wie wir Leben neu entdecken‘, deswegen sind auch eine Schildkröte und ein Schneekristall auf dem Cover abgebildet. Die Schildkröte auf dem Bild bist zwar nicht du, aber dass der Titel so lautet, das hat tatsächlich sehr viel mit dir zu tun, liebe Schildkröte.“

Die Schildkröte schien neugierig geworden zu sein, und sie bat mich: „Kannst du mir mehr darüber erzählen?“ Und so begann ich damit, mit ihr über das Buch und die Bedeutung meiner kleinen Schildkrötengefährtin darin zu sprechen.

 

Orientierung von innen

„Ich habe dir ja schon oft erzählt“, begann ich, „dass ich in meiner Arbeit als Psychotherapeutin und Coachin immer wieder auf Menschen treffe, die das Leben in unserer Gesellschaft als anstrengend und belastend empfinden: Sie sind zwar materiell versorgt, aber dabei nicht zufrieden und ausgeglichen, sondern voller Anspannung und unsicher darüber, was ihnen fehlt.“

„Ja, so kenne ich euch Menschen, nie seid ihr zufrieden, immer angespannt“, stimmte die Schildköte zu. „Und doch suchen viele von uns“, fuhr ich fort, „nach Möglichkeiten, ein ‚gutes Leben‘ zu führen, ohne sich von anderen erzählen zu lassen, was das ist.“

„Wer sind denn diese ‚anderen‘, die den Menschen etwas vom guten Leben erzählen?“, wollte die Schildkröte wissen. „Ach, das sind so vermeintliche Richtungsgeber wie Religion, gesellschaftliche Norm, rationale Erklärungsmuster oder esoterische Ansätze“, sagte ich. „Doch die Hoffnungen, die viele Menschen in diese Richtungsgeber gesetzt haben, sind über die Jahre oft enttäuscht worden.“

Die Schildkröte nickte verständig und antwortete: „Ich verstehe, was du meinst, die Orientierung ‚von außen‘ hat also die Erwartungen nicht erfüllen können. Deswegen steigt die Sehnsucht nach einer Orientierung ‚von innen‘? Und du hilfst ihnen, sie zu finden?“

„Gleich zwei Fragen auf einmal ... und auf beide ein: Ja, genau! Wobei ich mich für die gesuchte Orientierung eher als Impulsgeberin sehe“, erwiderte ich. „Viele Menschen wünschen sich tatsächlich von mir, dass ich ihnen den sprichwörtlichen Weg zum Glück zeige. Verstehe mich richtig: Der Wunsch ist absolut nachvollziehbar, gut so und überhaupt nicht zu kritisieren.  So wollen wir Menschen vor allem unsere Probleme bzw. Symptome loswerden, in der Hoffnung, dass es uns dann immer gut geht. Dazu gibt es in der Psychotherapie und Beratung auch tatsächlich eine Fülle von Tools aus verschiedenen Interventionsrichtungen, die alle dazu da sind, uns Menschen von den Problemen oder Krankheiten zu kurieren.“

„Und über diese Tools schreibst du also?“, brummte die Schildkröte und schien fast ein wenig enttäuscht. Ich schüttelte den Kopf: „Für mich ist das ausschließliche Kurieren von Symptomen mit dem gewünschten Ergebnis eines problemfreien Lebens nicht immer zielführend, weil es darum in einem menschlichen Leben lediglich vordergründig gehen kann. Ich sehe Krisen und Krankheiten nämlich nicht nur als ein in Kauf zu nehmendes Übel, sondern als eine absolute Notwendigkeit, im Sinne einer Wachstumsherausforderung für ganzheitliche menschliche Entwicklung, mit der uns das Schicksal konfrontiert. Entwicklung und Wachstum wiederum bedeuten wachsendes Bewusstsein. Und für mich sind alle Lebenssituationen – auch die Krankheiten und Krisen – gute Gelegenheiten, mehr Bewusstsein zu kreieren.“

„Mehr Bewusstsein“, wiederholte die Schildkröte, „das gefällt mir viel besser als diese Tools.“ Ich hakte ein und sagte: „Deswegen ist die Idee für mein Buch auch nicht so sehr klassisch therapeutisch und vor allem überhaupt nicht defizitorientiert. Das Buch ist eben kein Ratgeber, keine besserwisserische Schritt-für-Schritt Anleitung in vorgefertigte Einsichten, sondern eine Ermutigung wie auch ein Appell an uns alle, passgenaue, individuelle Antworten auf unsere Lebensfragen zu finden, sprich, nach unseren eigenen Lösungen zu suchen.

„Dieses Buch“, und ich hielt es noch einmal hoch, damit die Schildkröte und ich gemeinsam darauf schauen konnten, „möchte uns alle wieder zu einem selbstbestimmten, erfüllten Leben ermutigen.

 

Reich an Gedanken und Geschichten

„Das klingt einleuchtend. Aber wenn du ein ganzes Buch lang über all das schreibst, ist das dann nicht sehr theoretisch und trocken?“, gab die Schildkröte zu bedenken. „Du hast da bestimmt deine gesamte psychologische Kompetenz hineingepackt. Aber ich habe mir von vielen Büchern von klugen Menschen erzählen lassen, die furchtbar langweilig waren und ihren Lesern keine wirkliche Freude bereitet haben.“

„Ja, liebe Schildkröte“, gab ich ihr lächelnd Recht, „solche Bücher wie die, von denen du erzählst, kenne ich leider auch. Deshalb habe ich versucht, es auf ganz andere Weise zu schreiben, und so ist das Buch daneben auch ganz reich an vielen Geschichten. Ich erzähle beispielhaft von mir selbst, aus meiner Kindheit und Jugend, von meinen Eltern, von meinen Reisen und Begegnungen mit Menschen, die mich geprägt haben. Und von dir natürlich ...“, zwinkerte ich der Schildkröte zu.

Die Augen der Schildkröte schienen zu leuchten, doch wie um ihre Neugier zu kaschieren, blieb sie still und wartete gespannt darauf, dass ich weitersprach.

So fuhr ich rasch fort: „Noch etwas zeichnet dieses Buch aus meiner Sicht aus. Ich verknüpfe ‚altes Wissen‘ aus indigenen Lehren mit den modernen Erkenntnissen aus der Forschung der positiven Psychologie und webe sie in meine Geschichten ein ... Zum Beispiel erzähle ich aus meiner Zeit in Arizona und von ‚Hozho‘, einem Begriff, mit dem für die Navajo in Nordamerika ein gesamter Sinnkontext für ein Leben in Schönheit entsteht. Es geht darin um Lebenssinn durch wechselseitige Beziehungen in Wahrheit, Schönheit, Harmonie, Balance und ‚Spirit‘. Für viele von uns Menschen ist das vielleicht nicht ganz leicht zu verstehen, doch für die Navajo ist ‚Spirit‘ überall. Ich bin sicher, dass du, liebe Schildkröte, das gut verstehst: Das gesamte Universum ist in ihren Augen belebt und mit ihm gefüllt. Steine, Gebirge, Bäume, Gräser und Blumen... alle Tiere, wie die Vierbeiner, die Schwimmer der Meere, die Vögel, Insekten – oder ihr Schildkröten ...“

„Ich erinnere mich jetzt, dass du mir davon schon einmal erzählt hast. Das hat mir damals schon sehr gefallen. Aber was hat das mit den von dir erwähnten modernen Erkenntnissen zu tun?“, unterbrach mich die Schildkröte.

„Die Bedeutungsebenen von Hozho stimmen interessanterweise überein mit heutigen Forschungsergebnissen, beispielsweise in der modernen positiven Psychologie, der Neuropsychologie sowie den aktuellen Erkenntnissen der Hirnforschung über neuronale Netzwerke und auch mit Erkenntnissen der Psychoneuroimmunologie.“

„Oh, sehr viele Fremdwörter ... Aber ich verstehe, was du meinst. Es ist schön, wenn altes Wissen von modernen Erkenntnissen bestätigt werden kann. Trotzdem“ – nun schüttelte die Schildkröte ihren Kopf –, „kann ich mir jetzt immer noch nicht so richtig vorstellen, wie aus diesen vielen einzelnen Gedanken und Geschichten dein Buch geworden ist?“

Ich verstand, was die Schildkröte meinte, und so erzählte ich ihr vom Aufbau meines Werks: „Stell es dir als Mischung aus Theorie und Geschichten vor. Im ersten Teil gehe ich mit der Leserin oder dem Leser auf eine ‚Reise ins Unbekannte‘, nämlich zu der jedem von uns innewohnenden inneren Quelle des Bewusstseins, die Gelassenheit, kraftvolle Ruhe, Freude und lebensbejahende Ausgeglichenheit spendet – und die eben nicht von außen für uns bereitgestellt werden kann.“

Die Schildkröte hatte gespannt zugehört und wollte noch mehr Details wissen: „Und was steht im zweiten Teil?“ „Der zweite“, erwiderte ich, „heißt ‚Können Seelen fliegen?‘, und da spüre ich den ‚Flügeln‘ nach, mit denen uns in den verschiedenen Herausforderungen unseres Lebens unsere Seele trägt. Ich schreibe dabei exemplarisch über Macht, Liebe, Tod und Lebensfreude. Vier grundlegende Schlüsselthemen, die für die Vielfalt des Lebens stehen und seine immense Fülle verkörpern.

 

Neue Kraft schöpfen

Einige Momente lang war es ganz ruhig, die Schildkröte nickte langsam und schien intensiv über das nachzudenken, was ich gesagt hatte. Dann hob sie bedächtig ihren Kopf und murmelte ganz leise: „Außer, dass ich ab und zu darin erwähnt werde, weiß ich aber immer noch nicht, was ich mit diesem Buch genau zu tun habe. Warum heißt es so und warum zeigt das Cover eine Schildkröte?“

Ich musste nun ebenfalls einen Moment überlegen und antwortete ihr dann: „Ich versuche, uns Menschen einen Weg zu zeigen, wie wir auf unsere Art so etwas Ähnliches tun können, wie du es immer machst: dich in dich selbst zurückziehen, um neue Kraft zu schöpfen, um dich dann wieder gestärkt heraus und in die Welt zu wagen. Die Menschen haben es da etwas schwerer, sie haben keinen Panzer wie du, sie müssen einen anderen Weg finden, sich selbst zu begegnen und zu spüren.“

Ich sah, dass diese Erklärung der Schildkröte gefiel, sie flüsterte zustimmend: „Das macht mich richtig neugierig! Ich bin gespannt, wie die Menschen das anstellen können! ... Nach einer Pause fuhr sie fort: „Sie sollen sich nicht krampfhaft suchen. Dann werden sie sich finden.“

„Genau, da bist du Vorbild, und du kommst auch noch persönlich im Buch vor. Ich führe dort drei Gespräche mit dir, und eines handelt von deiner Begegnung mit einem Schneekristall, von der ich im Winter auch in meinem Schildkröten-Blog schon erzählt habe.“ Die Schildkröte schien sich zu erinnern und mit ihrer Zunge die damals so überraschende Erfahrung noch einmal nachzuschmecken.

„Und weißt du was? Darüber hinaus enthält der zweite Teil vier Links zum Download von geführten Trancen, mit denen die Leser/innen ganz praktisch für sich selbst das Gefühl einer Reise nach innen erleben können. Was vielen von ihnen bisher vielleicht eher zufällig in einzelnen Momenten als erleuchtende und beflügelnde Erfahrung begegnet ist – in Kontakt mit ihrer Mitte zu kommen – können sie mit diesen Trancen – ob als reine Geschichte oder als Musiktrance – willentlich herbeiführen. Und wenn sie möchten, können sie sich vorab über YouTube auch noch eine visuelle Induktion per Video-Clip anschauen.“

„Das macht mich alles sehr neugierig“, sagte die Schildkröte. Magst du mir demnächst daraus einmal vorlesen?“ Ich versprach es ihr und fügte hinzu: „Eine Trance handelt übrigens von dem Schildkrötenritt mit einer sehr großen Artgenossin von dir, über den ich dir im Frühjahr hier auch schon erzählt habe, erinnerst du dich?

 „Ja, ich erinnere mich und bin immer noch froh, dass keiner auf mir reiten will,“ brummte meine Schildkröte, kopfschüttelnd, um mich dann aufmerksam anzuschauen: „Jetzt aber siehst du etwas müde aus! Hast du lange an diesem Buch gearbeitet?“

„Ja“, antwortete ich, „ich habe beim Schreiben einen Rat beherzigt, den du mir vor einiger Zeit einmal gegeben hattest. ‚Überstürze es nicht. Nimm dir für dieses Buch all die Zeit, die du brauchst‘, hast du damals gesagt. Aber nun ist es tatsächlich fertig geworden, und ich bin sehr froh darüber.“

„Ich bin froh, dass du dir die Zeit genommen hast! Komm, leg das Buch aber nun auf den Schreibtisch, lass es wirklich los!“, sprach die Schildkröte ganz leise zu mir. „Schicke das Buch auf die Reise zu deinen Lesern, und ruh dich aus, um neue Kraft zu schöpfen.“

So sagte sie und zog sich mit ihrem Kopf und ihren Beinen für eine Weile in ihren Panzer zurück. Und ich wusste ja: Nach dem Ausruhen können wir uns wieder gestärkt heraus und in die Welt wagen.