Der Teufelskreis des Funktionierens
Vor wenigen Wochen haben die meisten von uns noch überschwängliche Neujahrsvorsätze gefasst und sind sie mit Schwung angegangen – aber nun ist es Februar und vieles in unserem Leben läuft schon wieder in den alten Bahnen.
Wir funktionieren irgendwie – das damit verbundene Gefühl mögen wir alle nicht, doch es ergreift von uns Besitz in diesen Winterwochen, umso mehr, da wir auch nicht so viel Energie von außen mit dem Sonnenlicht empfangen können, das jetzt noch eine geringe Kraft hat.
Auch in anderen Phasen unseres Lebens geraten wir in diesen ungesunden Stillstand, fühlen uns wie in einer Sackgasse. Das bedeutet Krise, Unzufriedenheit, Krankheit.
Fokussierung auf Leistung
Man sieht uns dieses Stocken in unserer Lebendigkeit nicht unbedingt an. Im Gegenteil, wir sind wahrscheinlich weiterhin wahnsinnig aktiv und wirken von außen vermutlich mehr als betriebsam.
Denn wir bemühen uns ja ständig, gute Leistungen zu erbringen – so, wie es von uns erwartet wird. Wie wir es von uns selbst erwarten. Wir rackern uns ab, um jung und fit und körperlich gesund zu bleiben – so, wie es die anderen zu sein scheinen. Wir konsumieren fleißig und sind ständig in Kommunikation und Kontakt mit anderen Menschen, aber selten mit uns selbst.
Darin zeigt sich etwas, das uns nur mit Mühe bewusst wird: wie sehr wir gesellschaftliche Ansprüche verinnerlicht haben. So sehr, dass wir sie vermutlich sogar für unsere eigenen Ansprüche halten.
Die Moderne fordert schon seit ihren Anfängen in ihrer Fokussierung auf Produktivität und Verwaltbarkeit der (Produktions-) Prozesse Menschen, die sich reibungslos in diese Abläufe eingliedern. Also funktionieren.
Wir lernen das individuell schon früh und durch die Fokussierung auf Leistung und verwertbare Ergebnisse wird das Augenmerk bei vielen von uns auch privat und in der Selbstwahrnehmung automatisch auf die Funktion gerichtet. Wir messen uns mit dem Blick „von außen“ am messbaren Ergebnis. Und das „bestimmt“ unseren Wert.
Stocken und Stolpern
In der ganzen Betriebsamkeit verlieren wir immer mehr das Gespür dafür, was unsere Bedürfnisse, Befürchtungen und Möglichkeiten sind. Ohne es zu wissen, überlagern wir mit unseren nach außen gerichteten Aktivitäten die Lebensthemen und Aufgaben, die wir für unser inneres Wachstum zu beachten hätten. Bis wir damit irgendwann ins Stocken geraten.
Dazu kommt, dass das Wissen um schicksalhafte Lebensereignisse und seine Folgen seinen Platz zugunsten der in unserer Gesellschaft idealisierten Eigenverantwortung geräumt hat. Die Tatsache verschleiernd, dass wir Menschen nun einmal nicht alles im Leben kontrollieren und bestimmen können. Dass Stocken und Stolpern dazugehören. Dass wir nicht alles in der Hand haben.
Wir blenden die Tatsache aus, dass Zufall und Glück oder Pech extrem viel mehr Entwicklungen beeinflussen als nur unsere Leistung.
Und wir haben in unserer Idealisierung von Prozessoptimierung und Leistungsbereitschaft den Blick auf die Existenz als Ganzes verloren.
Wir knüpfen mit dieser einseitigen Haltung Selbstakzeptanz und Selbstliebe an Bedingungen, die erst erfüllt sein müssen, damit das Selbst überhaupt akzeptabel und liebenswert ist. Doch es ist genau umgekehrt: wir funktionieren eben nicht wie simple lineare Gleichungen, die immer genau eine Lösung haben. Wir Menschen sind komplexe, kreative Systeme und unterliegen wie alle Lebewesen Naturgesetzen. Auch unser Innenleben besteht aus Zusammenhängen, die komplexer sind, als wir es mit unserem gewohnten Kausal-Denken fassen können.
Mich selbst nur dann zu mögen, wenn ich leistungsstark, schlank, fit und erfolgreich bin, ist nicht nur eine grobe Vereinfachung der Sache, sondern bedeutet auch: mich selbst auf ein Minimum zu reduzieren, wie in einem Korsett, in dem ich zwar nach gesellschaftlichem Ideal eine gute Figur mache, aber nur mit Mühe atmen kann. Das ist eine falsch verstandene Selbstliebe, die Mangelzustände ausblendet und damit aufrechterhält und so Krankheiten begünstigt.
Der Scheinwerfer
In diesem Teufelskreis, der darin mündet, sich – aus gutem Grund – selbst fremd zu sein, können weder Lebensfreude noch dauerhafte Lebenszufriedenheit entstehen und wachsen.
Deshalb stehen viele Menschen trotz hektischster Aktivität still, verharren innerlich an einer Stelle und entwickeln sich nicht weiter. Sind unzufrieden, vielleicht sogar unglücklich. Sie vermeiden, vielleicht weil es kurzfristig die leichtere Lösung zu sein scheint, mehr oder weniger bewusst die Auseinandersetzung mit sich selbst und den für sie wichtigen Themen.
Als trügen sie einen fest eingerasteten Scheinwerfer, den sie immer nur nach außen, auf die Umwelt und auf die Reaktionen sowie die mitgedachten Urteile Anderer richten, aber nie auf sich selbst. Als sei dieser Schweinwerfer in der Außenperspektive fixiert und könne nicht nach innen gerichtet werden.
Aber kann er das wirklich nicht?
Wahrnehmung des Inneren
Ich finde, diese Unzufriedenheit jetzt im Februar tut uns eigentlich ganz gut, weil sie uns daran erinnert, dass es noch mehr geben muss und dass wir uns mal wieder auf die Suche machen sollten und wieder anregen lassen von unserem eigenen Inneren, etwas zu verändern.
Wir können uns nicht nur im Januar zu Neujahr, sondern auch jetzt nochmal auf den Weg machen, unser eigenes Leben wieder in die Hand nehmen und den Schweinwerfer auf unser Inneres richten. Wir können immer wieder schwenken zwischen Beobachten und Erleben, Aufnehmen und Einflechten. Denn Beides steht in Beziehung, jedes wirkt auf das andere zurück. Im Zusammenspiel äußerer und innerer Wahrnehmung verändert sich unser Leben nahezu täglich ein kleines bisschen, denn wir gestalten unsere Welt mit jeder Erfahrung neu.
Es ist ein sich selbst in Schwung haltender Perspektivwechsel: Jede Erfahrung wirkt auf die nächste ein, jede bewirkt eine neue. Dieses Pendeln ist ein ganz natürlicher menschlicher Rhythmus, so wie der Wechsel zwischen Wachsein und Schlafen, zwischen Fröhlich und Traurig, zwischen der Lust auf das Zusammensein mit anderen und dem Bedürfnis nach dem Alleinsein. Im Wechselspiel zwischen Aktion und Innehalten können wir uns ganz ausgewogen auf der Spur bleiben: Bin ich emotional ganz auf der Seite dessen, was ich gerade lebe, was läuft Gefahr, aus dem Blick zu geraten, was kann ich bewusst loslassen, was nehme ich mit?
Wie wir uns – und damit auch die ganze Welt um uns herum – wieder anders wahrnehmen können, darüber schreibe ich hier im nächsten Monat.