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Juli 2023

Lebensfreude in jedem Augenblick

Es ist Sommer, es ist Ferienzeit – und hoffentlich für uns alle auch die Zeit, unsere Lebensfreude (wieder) verstärkt zu entdecken und zu spüren. Doch was ist das überhaupt, diese Lebensfreude? Sie ist jedenfalls umfassender als situative Freude im gegenwärtigen Moment. Sie ist vor allem ein Grundempfinden dem Leben gegenüber. Auch wenn wir sie bestimmt nicht in allen Augenblicken des Lebens spüren, ist sie, so wie die Sonne hinter den Wolken, immer vorhanden.

Doch als erwachsene Menschen erkennen wir sie nicht immer. Unvoreingenommen in einen Augenblick einzutauchen, da zu sein wie ein fröhliches Kind, das sich keine Sorgen über die Zukunft macht und auch nicht über die Vergangenheit grämt, ist für uns alle immer wieder eine Herausforderung in den Zeitstrukturen des Alltags. Dazu kommt, dass wir im Laufe unseres Lebens es als schwieriger empfinden, dem Leben mit der Offenheit und dem Staunen des Kindes zu begegnen. All die Erfahrungen, die wehgetan haben. Die zunächst vielversprechenden Ereignisse, die später Enttäuschungen in sich trugen. Die unerfüllten Erwartungen, das Scheitern vor dem Erreichen von Zielen. Das macht, vielleicht auch bei Ihnen, die Lebensfreude zu einem selteneren Gut des Lebens.

Manche von uns sehen das im Erwachsenenleben als einen Verlust der Unschuld: ganz normal und einfach nicht zu ändern. Doch in der Fähigkeit, die Vergangenheit als vergangen zu sehen und sich dem gegenwärtigen Augenblick mit optimistischer Neugier und all seinen Sinnen zuzuwenden, liegt ein wertvoller Schatz. Wertvoll genug, um heute mit Ihnen einige Gedanken zur Lebensfreude aus meinem in Kürze erscheinenden Buch „Schildkröte sucht Schneekristall“ zu teilen – und mit Ihnen gemeinsam dem Wesen der Lebensfreude und ihren Facetten auf den Grund zu gehen.

 

Kribbeln im Bauch

Das größte Missverständnis unserer Gesellschaft zum Thema Lebensfreude ist aus meiner Sicht vor allem die eher passive Grundhaltung den eigenen Gefühlen, Gedanken und Bewertungen gegenüber. Die Quelle der eigenen Freude erstens bewusst zu entdecken und dann zweitens zu pflegen, ist eine der wichtigen Aufgaben eines jeden Menschen und somit ein zentrales Lebensthema für jeden und jede von uns.

So etwas kann eine Gesellschaft als Kollektiv nicht stellvertretend für den Einzelnen übernehmen, auch und vor allem nicht mit guten Ratschlägen, was im Leben zählt und wie etwas zu tun ist. Schon allein deshalb, weil die Quellen der Lebensfreude nicht unbedingt im Tun selbst zu finden sind. Wir können sie zwar willkommen heißen, indem wir bestimmte Dinge tun – wie zum Beispiel Freiräume für achtsames Sinneserleben zu schaffen und die Welt der Sinne, Gedanken und Gefühle bewusst aufzusuchen – doch sie lässt sich nicht herbeizitieren. Sie ist eher wie ein eigenständiger, lebendiger Teil von uns, wie eine Blume, die eben mit ihrem eigenen Duft genau dann blüht, wenn sie blüht.

In meiner Vorstellung ist die Lebensfreude vielfältig und mit ihren ganz eigenen inneren Resonanzen verknüpft. Freude am Leben und über das Leben und Lust auf das Leben kann sich ganz sinnlich, vor allem aber auch emotional und mental auswirken. Die Lebensfreude spendet uns das Gefühl für den Sinn unseres Daseins, den Bezug zur Welt, die Antwort auf das „Warum“. Und das nicht aus einer distanzierten, abstrakten, theoretischen Betrachtung dieser Frage heraus, sondern ganz unmittelbar. Als absolut direkte Erfahrung kann sie zum Beispiel als Weite in der Brust oder warmes Kribbeln im Bauch geradezu körperlich fühlbar werden und mit Gefühlen wie Freiheit oder Gelassenheit erlebt werden.

Diese direkte Erfahrung ist jeden Tag, in jedem Augenblick zu finden. Es ist eine Frage der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung und Haltung dem Leben gegenüber. Gefühle wie auch Gedanken verändern sich permanent, und sie benötigen Aufmerksamkeit.

Ein Beispiel: Zum Fühlen intensiver Freude beim Betrachten eines Sonnenuntergangs am Meer reicht es nicht, ihn einfach zu sehen. Wir benötigen hierfür einerseits die bewusst gelenkte Aufmerksamkeit, und darüber hinaus eine unbewusste, das heißt sich unwillkürlich einstellende Öffnung für die persönlich bedeutungsvollen Elemente, wie den grandiosen, orangeroten Sonnenball, der fast das Meer zu berühren scheint und dabei immer größer wird. Oder die Verbindung zum jetzigen Sonnenuntergang durch eine schöne Erinnerung und die ebenfalls unbewusst auftretende, erfreute Resonanz, die damit einhergeht. Berührung entsteht in beiden Fällen, und mit ihr das Empfinden, dass es genau jetzt wunderbar ist, wie es ist. Mathematisch ausgedrückt hieße die Formel: Sonnenuntergang + persönliche Bedeutung = gefühlte Freude. Das intensive Körpergefühl ist dann wie eine innere Bestätigung für die Freude und verstärkt sie weiter.

Aber eben nicht automatisch und auch nicht für alle Menschen in gleichem Maße. Die heutige wissenschaftliche Forschung bestätigt alle seit Tausenden von Jahren bestehenden Weisheiten darin, dass Menschen davon profitieren, wenn sie dem Leben und den sie umgebenden Ereignissen grundsätzlich mit einer Haltung von Wertschätzung und Dankbarkeit entgegentreten.

Konkret bedeutet das: Am besten tut es uns Menschen, wenn wir aufhören zu meckern oder Haare in der Suppe zu suchen und uns lieber darin üben, im täglichen Alltagsleben etwas zu finden, das uns gefällt. Damit geht keineswegs einher, die als schrecklich, nervig, hässlich, ärgerlich etc. wahrgenommenen Ereignisse schönzureden – denn das würde bedeuten, dass wir uns selbst täuschen. An der Resonanz nach Innen kommen wir nicht vorbei, sie lässt uns wissen, ob wir uns nur etwas vormachen wollen. Es ist ein spürbarer Unterschied, ob wir das Unerfreuliche leugnen wollen oder ob wir durch den bewussten Blick auf das Erfreuliche dem Ganzen gegenüber gelassener sind. Die innere Resonanz ist die Instanz, die uns sagt: „Jetzt bist du bei dir selbst angekommen.“

 

Verbunden sein

In der Positiven Psychologie gibt es einen ganzen Forschungszweig, der sich nur mit dem Thema beschäftigt, was wir brauchen, damit wir uns wohlfühlen und unser Leben als lebenswert empfinden. Aus den Erkenntnissen über das menschliche Wohlbefinden haben sich Ideen für praktische Übungen entwickelt: etwa sich jeden Abend drei Dinge bewusst zu machen, die am Tag gut waren, sie aufzuschreiben und sich dazu die Frage nach dem „Warum" zu stellen. Es lohnt sich wirklich, das einmal auszuprobieren.

Wenn wir unsere Aufmerksamkeit – sowohl im Moment als auch rückblickend – auf positive Empfindungen richten, verstärken wir selbst ganz aktiv dieses Empfinden und erzeugen dadurch eine Art Feedbackschleife, die das Erleben noch schöner macht. Eine weitere hilfreiche Übung für den Aufbau und Erhalt von Lebenszufriedenheit: das Bewusstsein der eigenen Stärken im Sinne von gesundem Selbstwert zu finden. Auch das entwickeln wir nicht theoretisch, sondern in der täglichen Übung, beim Innehalten und Nachspüren.

In der Glücksforschung der Positiven Psychologie heißt es außerdem, dass die Lebensfreude sich weiter ausbreitet mit dem Gefühl, gebraucht zu sein. Also neben der bewussten Wahrnehmung unserer selbst und der Wohltat, unsere Stärken in eigenen Handlungen zu verwirklichen, brauchen wir den Bezug auf etwas außerhalb unserer selbst. Anders gesagt: Es ist für uns Menschen wichtig, etwas zum großen Ganzen beizutragen. Dabei ist es für unsere individuelle Lebensfreude nicht entscheidend, ob unser Beitrag spektakulär oder bahnbrechend ist. Es geht darum, die eigene Wirksamkeit und die Notwendigkeit seines Daseins im eigenen Umfeld zu empfinden.

Jeder und jede von uns ist einzigartig, und als solch einzigartiges Geschöpf kann jeder und jede etwas in die Gemeinschaft hineingeben. Ich selbst empfinde es als besonders schön, wenn meine Gabe dadurch versüßt wird, mich an dem zu freuen, was ich tue – und ich damit zusätzlich zur Gabe selbst auch meine Freude an die mich umgebenden Menschen und Tiere verschenken kann.

Außerhalb des eigenen Egos, in einer Gemeinschaft durch etwas Gemeinsames verbunden zu leben (was immer das Verbindende sein mag), ist für mich erstrebenswert. Das ist, auch wenn es nicht leicht umsetzbar erscheint, immer ein Teil unserer Lebensrealität, weil wir Menschen uns alle als Teile von Systemen permanent gegenseitig beeinflussen, das heißt, in jedem Fall miteinander verbunden sind. Ob wir es uns vornehmen oder nicht: Wir können nichts tun, ohne dass es sich irgendwie auf andere Menschen, unsere Umgebung und uns selbst auswirkt. Aber: Wir können unser Verbundensein tatsächlich unterschiedlich bewusst wahrnehmen, definieren und aktiv gestalten – zum Beispiel unsere Beziehungen und unsere gegenseitigen Bewertungen. Diese bewusste Gestaltung sollte unser Ziel sein.

 

Spirituelles Wachsen

Für die Pflege der Lebensfreude sind, neben der Rückbesinnung auf mich selbst als „Hauptfigur“ des eigenen Lebens im wertschätzenden Kontakt mit den anderen Menschen und der Welt, die (Wieder-)Aufnahme wohltuender Aktivitäten und die eigene Kreativität gefragt.

Und dann ist da noch eine weitere Qualität der Lebensfreude. Diese Qualität ist weniger situativ, geht sie doch über all das Erleben einzelner Ereignisse hinaus und liegt jenseits des aktiven Tuns. Sie umfasst sowohl die kindliche Ausgelassenheit und dessen unbefangene Kreativität als auch das Verantwortung übernehmende Involviertsein des Erwachsenen in seine wichtigen Lebensaufgaben. Anders als in der situativen Wahrnehmung und Unwissenheit in der Kindheit ist die Lebensfreude im Erwachsenenleben umso kostbarer, je mehr wir uns ihrer durch unsere gesammelten Erfahrungen bewusst sind. Weil sie hier im Bewusstsein, jenseits der Einzelereignisse, zu Hause ist, erleben wir sie zeitlich unabhängig von konkreten Aktionen – wie eine Basis, die uns trägt.

Dabei bringt sie eine tiefe friedliche Ruhe mit sich, die alles einschließt, was uns die wechselnden Gefühle und Gedanken an Dauer verwehren. Wir können sie uns nicht theoretisch ergründen und aneignen. Es ist kein Wissen über, sondern um unsere Lebensfreude, das es zu finden gilt. Es ist ein ruhiges, friedvolles Glücks-Empfinden, bei dem Körper und Geist zusammengefunden haben.

Vielleicht ist es tatsächlich möglich, sich mit dem bewussten, langen und lösenden Ausatmen dem Grund der Seele anzunähern. Mit Übung habe ich gelernt, dieses Gefühl von erfülltem Frieden im fokussierenden Atmen wahrzunehmen. Manchmal fühle ich meine Ruhe im Bauch-Brustbereich, manchmal auch in der Herzgegend, und hin und wieder kribbelt sie regional im Kopf, vorne zwischen den Augen. Und manchmal überall, im ganzen Körper. Diese Form der Lebensfreude erlebe ich heute als mein spirituelles Wachsen.

Im Laufe des Lebens gibt es – so habe ich es erfahren – ebenso viele Formen der Lebensfreude, wie es Spielarten gibt, sie zu empfinden. Und das Beste ist: Jedes Ereignis, unabhängig davon ob auf den ersten Blick positiv oder negativ wahrgenommen, trägt sie schon in sich. Der Unterschied beim Wahrnehmen und Freuen liegt nur darin, ob und wie schnell es mir gelingt, sie „ausfindig“ zu machen, je nach Ereignis und innerer Ausgangslage ist das leichter oder weniger leicht. In Situationen, die so offensichtlich wunderbar sind, dass sich das Freuen geradezu aufdrängt (wie der erwähnte Sonnenuntergang), gelingt es mir auch nicht unbedingt immer sofort. Ich kann Lebensfreude also nicht herbeizitieren und halten, indem ich mich einfach in tolle äußere Bedingungen begebe oder hübsche Umgebungen kreiere. Sie lässt sich nicht zwingen. Aber: Wenn es mir gelingt, mich mir selbst und meiner Umgebung freundlich zuzuwenden und mich für das Schöne im Moment zu öffnen, dann kann ich sie immer öfter spüren.

Meine Botschaft an Sie lautet: Gehen Sie sich selbst auf den Grund und finden Sie Ihre Freuden-Quellen! Ihre Feuer, Ihre Inspiration – alles was Ihnen guttut. Und über eine der Möglichkeiten zum Finden und Pflegen Ihrer Lebensfreude schreibe ich beim nächsten Mal.