Zum Hauptinhalt springen

Februar 2024

Loslassen und Durchhalten – von der Ressource sanfter Entschlossenheit

Wenn Sie eine anstrengendere Phase durchleben und es wird Ihnen irgendwie zu viel – was machen Sie dann? Vielleicht das, was ich von vielen Menschen und auch von mir selbst kenne. Wir sagen uns dann: Jetzt muss ich aber mal raus, den Kopf frei kriegen, etwas ganz anderes machen, mich erholen ...

Manchmal nehmen wir dann eine kurze Auszeit, machen einen Spaziergang, ein paar Dehnübungen, eine kleine Meditation oder vielleicht auch nur ein kurzes Schläfchen.  Und manchmal ist es auch mehr, eine Kur oder ein Urlaub. Bei mir ist es – nach einer sehr stressigen Zeit – ein Urlaub im Februar, vor dem ich, während ich Ihnen das schreibe, unmittelbar stehe.

Ich freue mich sehr darauf, und so ein Urlaub macht ja auch wirklich Sinn, und wenn es gut läuft, haben wir nachher vielleicht auch eine neue Perspektive auf die Dinge, die uns belastet haben, weil der Abstand uns gut getan hat. Auch die Fähigkeit zum Loslassen ist eine der uns zur Verfügung stehenden Ressourcen, von denen ich hier im Blog in den letzten Monaten schon einige vorgestellt habe.

Aber zuweilen ist es leider auch so, dass wir aus der Auszeit, so schön sie auch war, zurückkehren, und nach einem Tag sind wir so gestresst wie vorher und wir haben das Gefühl, wir wären nie weggewesen. Woran liegt das? Ich denke, es hat damit zu tun, dass das Loslassen auch seine Risiken und Nebenwirkungen haben kann.

Deswegen möchte ich es lieber mit dem Durchhaltevermögen zu einer Form von sanfter Entschlossenheit verknüpfen.

Ja, Sie haben recht, Loslassen und Durchhalten, das klingt ein wenig wie ein Widerspruch. Grund genug, das wir uns das vor meinem Urlaub noch einmal genauer anschauen. Damit es Ihnen nach Ihrer nächsten Pause anders ergeht – und mir nach meinem Urlaub hoffentlich auch.

 

Durchbeißen

Entschlossenheit? Sie hat bei den meisten von uns einen etwas zwiespältigen Ruf. Einerseits wissen wir, dass sie oft dabei hilft, Ziele zu erreichen oder Veränderungen anzugehen, aber für viele Menschen hat sie auch schnell etwas von einer Form von Verbissenheit, die in dem Begriff „sich durchbeißen“ eine sehr prägnante Formel gefunden hat.

Und tatsächlich haben wir in der Regel alle, wenn wir uns mit etwas beschäftigen, es aber nicht so läuft, wie wir uns das vorgestellt haben, so einen Hang dazu, die Zähne zusammenzubeißen und uns einfach noch mehr anzustrengen – nach dem Motto: „Try harder!“ Manchmal kann das tatsächlich funktionieren, auch im Alltag: wenn Sie etwa einen Kochtopf reinigen und da ist noch ein hartnäckiger Fleck, der sich Ihren Bemühungen widersetzt. Dann schrubben Sie ein bisschen intensiver, vielleicht nehmen Sie noch den härteren Schwamm und drücken mit dem noch ein wenig stärker, und dann ist der Fleck mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann weg. Sie wundern sich vielleicht nur darüber, dass Ihr Arm ein paar Stunden noch ein wenig schmerzt.

Wenn wir mit Situationen konfrontiert sind, in denen es eine lineare Kausalität nach dem Muster „aus a folgt b“ gibt und wir versuchen es einfach nochmal, dann kann das tatsächlich erfolgreich sein. Und in so einer Konstellation ist das Durchhalten dann auch eine Ressource.

Obwohl auch das schon Grenzen hat: Wenn ich Vokabeln lernen will und ich kann mir eine davon nicht merken, dann pauke ich die immer wieder in meinen Kopf hinein, und hoffentlich kann ich sie mir dann merken. Das klappt so halbwegs, aber es ist die Frage, ob es auch auf Dauer so gut funktioniert.

Ein Effekt von diesem Durchbeißen kann nämlich eine gewisse Ambivalenz sein, selbst wenn sie zum Ziel geführt hat. Dann ist es vielleicht so was, dass wir spüren: Na ja, ich habe es hinbekommen, aber es war kein bisschen lustvoll oder erfüllend, sondern dann eben eher anstrengend, verkrampft, gar schmerzvoll. In meinem Beispiel habe ich dann vielleicht später einfach keine Lust mehr, Vokabeln zu lernen, weil es immer so anstrengend war. Das ist eigentlich auch nicht verwunderlich: Wenn ich an meine Tätigkeiten mit der Einstellung „Schluss mit lustig“ herangehe, darf ich mich nicht wundern, wenn ich die Lust verliere.

In komplexeren Situationen kann dieses Durchbeißen sogar direkt kontraproduktiv sein: wenn eine verbissene Energie entsteht, die alles andere als hilfreich ist. Die immer stärkere Anstrengung hält dann eben nicht die Lösung parat, sondern ist hauptsächlich einfach nur: anstrengender.

Ich kenne das zum Beispiel vom Schreiben meiner Blogtexte. Manchmal fällt es mir ganz leicht, und manchmal quäle ich mich, um überhaupt einen Satz herauszubekommen. Wenn ich mich dann zusammenzureißen versuche, wird es meist nicht besser, sondern ich muss erst einmal eine Pause einlegen, um später in einem möglichst entspannteren Modus weiterzuschreiben.

 

Loslassen

Die Verbissenheit, das Zusammenreißen, das Durchhalten, das sich Zwingen, das „Augen zu und durch“, das klingt für uns alles unsympathisch, irgendwie so nach Militär, Preußentum, nach Disziplin –  und überhaupt an Zeiten, die wir uns nicht zurückwünschen. Wahrscheinlich ist auch deswegen ab den 70er-Jahren eine Gegenbewegung dazu entstanden, die das alles hinter sich lassen wollte: Statt Drill und Zwang entdeckten wir die Kreativität, die Freude an der Arbeit, die Motivation, den Flow, die Lockerheit und die innere Freiheit, entscheiden zu können, worauf wir gerade Lust hatten. Und dazu gehörte auch die Fähigkeit, loslassen zu können.

Doch so sympathisch und nachvollziehbar das auch ist – vielen von uns ist beim Verzicht auf das Durchbeißen auch der „Biss“ abhandengekommen. Und das kann bedeuten: die Konsequenz und das Durchhaltevermögen, um das zu erreichen, was wir uns vorgenommen haben.

Wenn ich etwa beim Schreiben mal loslasse und eine Pause einlege, die mir dabei hilft, wieder aus meinem krampfigen Durchbeiß-Zustand in einen anderen zu kommen, dann kann das leicht auch dazu führen, dass ich danach erst recht keine Lust mehr aufs Schreiben habe, weil es dann ja doch nur wieder so anstrengend wird. Dann denke ich: Morgen ist auch noch ein (Schreib-)Tag. Und ob ich morgen dann ausreichend motiviert bin, ist auch noch keineswegs klar.

Oder ein anderes Beispiel: Ein Bekannter, in dessen kleinem Unternehmen drei Mitarbeiter*innen arbeiten, hat mir erzählt, dass er Mitarbeitergespräche unangenehm findet, weil er da immer wieder auch etwas Unangenehmes sagen muss. Er berichtete: „Ich habe zwar jetzt schon drei Trainings dazu gemacht, wie ich das besser hinkriegen kann, aber irgendwie ist es trotzdem noch ganz schrecklich, und die letzten fünf Gespräche waren auch ganz furchtbar. Also mache ich das lieber gar nicht mehr.“

Einen unbeabsichtigten, aber durchaus möglichen Nebeneffekt des Loslassens, über den ich am Anfang diese Textes gesprochen habe, erleben manche von uns auch nach einem Urlaub: Sie sind überarbeitet, dadurch verkrampft und unkreativ, deshalb lassen sie im Urlaub los, schalten mal total ab, zerstreuen sich, blenden die Arbeit völlig aus – und sind dann nach der Rückkehr zwar entspannt, aber überhaupt nicht mehr motiviert für die Arbeit und tun sich mit der „Wiedereingliederung“ ins Arbeitsleben sehr schwer.

Vielen Menschen geht es sogar schon nach einem schönen entspannenden Wochenende so, dass sie am Montagmorgen überhaupt keine Lust mehr auf die Arbeit haben und den „Monday Morning Blues“ in sich fühlen. Ich kenne auch Menschen, die, um das zu vermeiden, auf Urlaub und zu viel Freizeit am Wochenende verzichten und lieber im Durchhalte-Modus bleiben.

Warum tun wir uns das nur an? Zugegeben, es gibt auch lästige Pflichten, zum Beispiel im Beruf, wo man auch vielleicht Sachen macht, die man gar nicht so gerne machen möchte, oder auch im Alltag beim Bügeln, Staubsaugen etc. Aber trotzdem ist eine Voraussetzung meiner Sicht auf dieses Thema, dass wir alle keine Sklaven sind. Sondern dass wir uns unsere Aufgaben in der Regel selbst gesucht oder uns einmal dafür entschieden haben.  

Das heißt, es ist sehr wahrscheinlich, dass der zeitweilige Fluchtreflex immer nur zeitlich begrenzt ist. Nach drei Stunden Spaziergang oder drei Tagen Pause oder drei Wochen Urlaub kommt, wenn wir es zulassen, auch wieder dieser andere Teil in uns, der uns sagt: Na, jetzt wird es aber mal Zeit, dass ich mich wieder um meine Aufgabe / mein Projekt / meinen Job kümmere.

Wenn wir dann aber wieder mit der gleichen Durchbeiß-Methode wie vorher da drangehen, fallen wir schnell wieder in die alte Verkrampfung.

 

Sanft und entschlossen

Die erfolgreichere Strategie liegt für mich deswegen zwischen Loslassen und Durchbeißen. In einer Art von Durchhaltevermögen, aber eher unter der Devise: sanft und entschlossen. Statt also mich durchzubeißen, mich anzustrengen und etwas bis zum Ende durchzuziehen, könnte es eine Ressource sein, mit der Aufgabe oder Zielsetzung so umzugehen, wie ich meine Katzen streichle: zärtlich, sanft, freundlich.

Wenn ich stattdessen bei der Aufgabenerledigung zu sehr in den Durchbeißmodus hineingerate, dann nutzen Auszeiten und auch eventuelle Reduktionen meiner Arbeitszeit nicht viel. Natürlich kann ich mir überlegen, ob ich von der 60-Stunden-Arbeit auf 40 oder gar 30 oder 20 Stunden gehe. Aber selbst wer das macht, ist in der reduzierten Arbeitszeit – oder gar in seiner neu gewonnen Freizeit – in der Gefahr, sich da genauso reinzubeißen wie vorher in die 60 Stunden. Denn entscheidend ist, wie ich meine Sachen mache, und nicht nur, ob ich viel oder wenig mache.

Der Weg, den ich hier vorschlage, nämlich sanft an unsere Aufgaben heranzugehen, bedeutet  kein entweder/oder. Also nicht, dass entweder das eine so wichtig ist, dass ich mich immer durchbeißen muss, um meinen Ansprüchen oder denen der Umgebung gerecht zu werden, oder dass ich meine Aufgabe gar nicht mehr so ernst nehme, weil mir die Auszeit als Selbstzweck wichtiger wird als alles andere. Sondern es geht mir darum, beides zu verbinden.

Immer wenn ich merke, dass ich wieder anfange zu beißen, ist es an der Zeit, mich bewusst davon zu lösen und innerlich – bei aller Entschlossenheit – sanfter zu werden. Was ich mit „sanft und entschlossen“ meine, ist kein „rein in die Pause – raus aus der Pause“. Sondern ich meine eine andere Haltung.

Wenn wir uns von unserer Aufgabe mal für einen Moment lösen und etwa einen Spaziergang  machen, sollte nicht die Auszeit an sich das Ziel als Selbstzweck sein, sondern: wieder diese andere Haltung für uns zu finden. Eine Haltung, in der sich beim Gedanken an die Aufgabe unser Kiefer wieder lockert, damit wir aus dem Beiß-Modus rauskommen. Es ist eine Lockerung, aber eben keine Zerstreuung, weil die es uns nur umso schwerer macht, wieder zu einer guten Fokussierung zurückzufinden.

Viele Menschen glauben, dass Sanftheit und Entschlossenheit Gegensätze sind. Aber ich bin überzeugt, dass wir durchaus beides zusammenbringen und integrieren können. Das ist eine Form von Gewaltfreiheit: dass ich entschlossen meinen Weg gehe, aber mich nicht dazu zwinge, nicht in eine Gewalt mir selbst gegenüber verfalle. Nicht in ein „Augen zu und durch“ gehe, sondern mir sage: Ich mache jetzt eine Pause, damit ich wieder neue Energie habe.

So ist es keine Flucht, sondern es geht immer noch um die Ausrichtung auf die Aufgabe. Ich bleibe dran, ich habe meinen Fokus gesetzt, das ist mein Schwerpunkt, und ich will und werde mich nicht davon abbringen lassen. Es ist kein „weg von“, sondern ein „hin zu“.

 

Sanftes Schubsen

Für diese sanfte, aber entschlossene Haltung ist es Voraussetzung, dass überhaupt noch Energie vorhanden ist. Denn wer aus dem letzten Loch pfeift, beginnt zu kämpfen und kann nicht mehr sanft sein. Wir benötigen dafür also noch ein paar Reserven, sodass wir das Gefühl für unseren Energiezustand noch nicht völlig verloren haben.

Der Sinn der Pause ist es, dass ich mich wieder innerlich sammeln kann, mich mehr darin betrachte, wie ich mich eigentlich fühle. Die Beobachtung meiner selbst kann mir Auskunft darüber geben: Wie bin ich denn in meiner Haltung mit dieser Aufgabe, wenn ich sie sanft und entschlossen erfülle? Wie kann ich meine Aufgaben in dieser anderen Haltung angehen? Wie ist das, wenn ich mich meinem Text sanfter widme oder meiner Steuererklärung oder dem Bügeln?

Das sollte sanft sein, doch es schließt einen sanften Druck nicht aus. Es gibt auch so etwas wie ein sanftes Schubsen, ohne Gewalt, achtsam mir gegenüber, und ohne mein Ziel aus den Augen zu verlieren.

Eine Verbindung zwischen Sanftheit und Entschlossenheit, von Loslassen und Durchhalten  tut uns gut, weil wir dann aus der Haltung herauskommen: Durchhalten sei Quatsch, sei ja nur Askese, das Leben zu genießen hätte Priorität. Denn in dieser Haltung würde uns ein Teil unserer Stärke verloren gehen.

Es ist etwas Gutes und Wertvolles für uns alle, wenn wir dazu in der Lage sind, zielorientiert zu handeln. Wenn wir auch bei größeren Aufgaben wirklich durchhalten – Aufgaben, die wir eben nicht voller verkrampfter Anstrengung in einem Rutsch erledigen müssen, sondern die wir mit Pausen sanft unterteilen –  dann können wir entschlossen und wirklich gestärkt wieder zurückkommen.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie zu dieser Haltung finden können. Und bitte drücken Sie mir die Daumen, dass auch mir das in meinem Urlaub gelingt, in den ich mich nun hiermit verabschiede.