Zum Hauptinhalt springen

Verbindung auf Herzensebene

Wie ich mich von einem Lebensfreund verabschiedete

Vor ein paar Wochen wollte ich in Arizona einen Freund treffen – doch drei Wochen vor der Abreise erhielt ich die Nachricht von seinem Tode.

Für mich stand die Frage im Raum, ob ich trotzdem nach Phoenix fliegen oder stornieren sollte. Ich entschloss mich schließlich, die Reise anzutreten.

Ich tat das in der Hoffnung auf eine Eingebung, wie ich mich vor Ort angemessen von ihm verabschieden könnte – von Carl Hammerschlag, meinem Lebensfreund, früheren Mentor und großartigen Arzt und Heiler.

Seelenverwandschaft

Carl hatte ich 2003/04 in meinem Sabbatjahr in der Milton Erickson Foundation in Phoenix kennengelernt. Wir hatten gleich bei der ersten Begegnung nicht nur eine fachliche Nähe, sondern vor allem auch eine Seelenverwandtschaft entdeckt.

Das war der Anfang meiner Unterrichtung in der schamanischen Heilkunst sowie deren Verbindung mit den von mir angewandten hypnosystemischen Verfahren und – im weiteren Verlauf – einer tiefen Freundschaft und Liebe in meinem Leben.

Eine erfahrungsreiche, lern- und erlebnisintensive Zeit war das, gefüllt mit therapeutischen Ritualen und Zeremonien, Hypnose in neuen Umgebungen, spirituellen Heilungselementen wie einer Schwitzhüttenzeremonie, Einsatz von Trommelrhythmen für Trancezustände und ... und ... und …

 

Heilung mit den Herzenskräften

Bei unseren Gesprächen über die indigenen Lehren ging es viel um Heilung mittels Herzöffnung. Das bedeutet, als PsychotherapeutIn nicht nur den analytischen Verstand und neutralen Beobachter in sich zu schulen und in der Arbeit einzusetzen, sondern tatsächlich darüber hinaus mit den eigenen Emotionen und der Intuition, also den Herzenskräften anwesend zu sein.

Carl hatte dafür den Begriff „Healer“ geprägt. Der zeichnet sich dadurch aus, dass er – über die Diagnose und die Behandlung der Erkrankung und Prävention hinaus – in Beziehung mit den Menschen tritt. Und dass er dabei einen Weg findet, das Herz seines Patienten oder seiner Patientin heilsam zu berühren, eine Verbindung auf der Herzensebene zu schaffen.

Dafür ist es zum einen wichtig, dass der Heiler, um einen Satz von Carl zu zitieren, „mit den Augen des Patienten in die Welt schaut“. Und dann zum anderen für das, was er da wahrnimmt, das eigene Herz öffnet, sich auf die Welt dieses Menschen einlässt. Die Resonanz, die entsteht, wird so Teil der Therapie und des Heilungsprozesses, eben auch aus dem Herzen heraus.

Ein zweites Postulat seines Lebens als Arzt und Heiler lag in dem Satz: „Come to every day with joy“– „Finde die Freude in jedem Tag“. An jedem Tag etwas zu finden, was Dir Freude macht, bedeutet vor allem, eine Grundhaltung einzunehmen, die durch die Überzeugung geprägt ist, dass die Schönheit des Tages immer vorhanden ist. Ich muss sie nur finden.

Das war Zeit seines Lebens Carls Philosophie.

 

Abgebrochen und neu belebt

2012 war unsere Beziehung plötzlich und ganz ohne Streit abgebrochen. Eine siebenjährige Kontaktpause sollte folgen. Ich fühlte mich damals sehr vor den Kopf gestoßen. Nie hätte ich für möglich erachtet, dass unsere innige Beziehung so plötzlich enden könnte.

Diese schmerzhafte Erfahrung barg dennoch Potential in sich, weil ich in der Krise wachsen und mich weiterentwickeln konnte. Auf einmal war ich in der Lage, Abschied von längst Ausgedientem und „Überholtem“ zu nehmen und etwas Neues zu wagen, vor allem die Gründung meines eigenen Fort- und Weiterbildungszentrums für Hypnose.

Erst 2019 hatten wir uns in einem Café in Phoenix wiedergetroffen. Inhalte unserer schamanischen Arbeit wurden neu belebt und auf jetziger Erfahrungsebene neu besprochen. Ab da trafen wir uns regelmäßig mit Facetime und tauschten uns weiter aus.

Wie früher – und doch wieder nicht.

Er hatte inzwischen seine Tätigkeit als Clown ausgebaut und für Interessierte zugänglich gemacht. Lachen und Humor waren für ihn eine Möglichkeit, das Vertrauen eines Menschen zu gewinnen und damit das Herz der Person heilsam zu berühren.

Zuletzt waren wir angesichts seiner Herzerkrankung auf die Idee gekommen, dass wir uns trotz Corona-Einschränkungen noch einmal sehen wollten, und ich hatte den Flug nach Arizona gebucht.

Und da war ich nun – auf der Suche nach einem Abschiedsritual …

 

Come to every day with joy!

Da ich mich von ihm als lebendigen Menschen ja nun nicht mehr verabschieden konnte, ging ich in Arizona an „heilige“ Orte, an denen wir zusammen gewesen waren, suchte innerlich unsere Verbindung und lauschte in mich hinein ...

Und was passierte? Nichts. Es kam zunächst keine Eingebung …

Am Anfang der Reise schob ich das noch auf den Jetlag, aber es veränderte sich nicht. Da ich weiß, dass Entwicklungsprozesse manchmal anders laufen, als ich mir das so vorstelle, nahm ich das innerlich vorläufig hin und kümmerte mich um andere Dinge. Aus praktischen Gründen hatte ich meine Reise mit der Planung neuer Projekte und Hypnoseinhalte, mit Kollegenvernetzung und den Treffen anderer Freunde verbunden.

Dann kam dieser Morgen, an dem ich mit meiner Freundin Aimée mal wieder – wie vor 20 Jahren, wenn auch etwas „gesetzter“ – in den frühen Morgenstunden zum „Running“ ging, wie sie das immer nennt.

Wie wir so durch Phoenix unterwegs waren und die Sonne aufging, fiel mein Blick auf die Berge, und ich schaute nach rechts auf den Camelback Mountain. In diesem Augenblick fiel mir ein, wie Carl jeden Morgen den Tag begrüßt hatte. Mit dem Blick zum Camelback Mountain hatte er seine Gebete gesprochen, seine Segnungen für die Menschen, die er liebte.

Dann war es so, als würde eine Kraft von der anderen Seite meinen Kopf wieder hinüberlenken, und als ich nach links schaute, sah ich ihn. Als wäre er auf der anderen Seite der Straße, wobei ich eigentlich nur seinen Kopf, sein Gesicht, sein Lächeln und seine Augen sah.

Als würde er mir zuzwinkern und sagen: „Come to every day with joy! Ich bin da, werde immer da sein, wenn Du mich einlädst. Auch der Tod hat nichts daran geändert, und wird nichts daran ändern.“

Das war der Moment, indem ich verstand, warum ich kein Abschiedsritual brauchte: Es hatte sich gar nicht so viel verändert. Auch wenn er jetzt nicht mehr unter den Lebenden weilte, so war er doch in meinem Herzen, und er war da und ich konnte ihn spüren. Ich konnte ihn fühlen.

Das war stärker als seine Abwesenheit, und es war viel wichtiger als die immer noch spürbare Verletzung durch unseren zwischenzeitlichen Bruch. Es war eine kraftvolle Erfahrung, die Ruhe und Zuversicht in mein Herz brachte.

 

Etwas Größeres

Nun bin ich schon seit einiger Zeit wieder in Deutschland, und ich erzähle davon, weil ich möchte, dass Carls „Spirit“ und die wichtigen Dinge, die ich mit ihm verbinde, noch weiter in der Welt unterwegs sind.

In diesem Sinne ende ich mit dem Gruß, den ich von ihm gelernt und seither viele Male gesprochen habe:

„Mi takuye Oyacin. Für alle meine Verwandten!“

Dieser Gruß macht deutlich, dass ich nicht für mich allein auf dieser Welt bin und es nicht nur um mich geht, sondern dass ich etwas teile, im Sinne von etwas, das größer ist. Etwas Größeres, als ich es selbst bin. So wie auch Carls Botschaft und unsere spirituelle Verbindung größer war als wir selbst.

Ich möchte es mit den Menschen in meiner Umgebung teilen, und auch mit denen, die nicht in der Nähe sind. Ich tue das alles auch für die anderen, für die, die schon vor mir da waren, in Achtung und Ehre für meine Ahnen und die, die nach mir kommen werden.

Und die von Euch, die mir zugehört haben, und das kundtun möchten, vielleicht diesen Gruß auch kennen, Ihr alle könntet jetzt sagen: „Aho!“ Was bedeutet: „Ich habe Dich gehört.“

Ohne Deutung, Analyse oder Bewertung ... einfach mit allen Sinnen, dem Verstand und vor allem mit dem Herzen.