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Oktober 2023

Raum schaffen für Lebensfreude

Was tun Sie, wenn es Ihnen nicht gut geht, wenn Sie sich kraftlos und gestresst fühlen? Vielleicht machen Sie es dann so wie viele Menschen und nehmen sich vor, jetzt etwas Schönes zu unternehmen, eine gute Erfahrung in sich aufzunehmen, die das schlechte Befinden überlagert oder vertreibt und damit neue Kraft verleiht.

Manchmal hilft das auch tatsächlich, aber es kann auch ein Problem dabei geben: Wer angefüllt ist mit anderen Emotionen, ist oft noch nicht bereit und hat keinen inneren Raum für die neue Erfahrung. Und so kann der so gut gemeinte Input seine Wirkung nicht wirklich entfalten und das Gefühl der Kraftlosigkeit sogar noch verstärken.

Es gibt einen anderen Weg, den viele von uns aber zunächst einmal gar nicht auf dem Schirm haben: Bevor wir das Neue, Positive in uns aufnehmen, müssten wir erst einmal Platz, d.h. einen inneren Raum dafür schaffen.

Doch wie kann das gehen? Davon will ich Ihnen heute am Beispiel eines Seminars zum Thema „Lebensfreude“, das ich vor Kurzem durchgeführt habe, mehr erzählen.

 

Zentrale Ressource

Das Seminar stand im Kontext einer Hypnotherapietagung der Milton Erickson Gesellschaft Graz (MEI-Graz) mit dem Titel „KRAFT“, die im September an einem passenderweise echten Kraftort stattfand, nämlich im Schloss Seggau in der Nähe von Graz.

Die Einladung dazu, bei der Tagung mitzuwirken, hatte ich vor gut einem Jahr erhalten, in einer E-Mail zweier Frauen, Dr. Michaela Novak-Rymarz und Dr. Astrid Polanz-Burgstaller. Die Anfrage hatte mich überrascht, weil ich die beiden Frauen, die das MEI-Graz leiteten, vorher nicht gekannt hatte. Ich hatte mich über die nette Einladung sehr gefreut, aber auch etwas verwundert nachgefragt, wie sie gerade auf mich gekommen waren.

Wie sich dann herausstellte, war ihnen auf meiner Webseite aufgefallen, dass ich mich nicht nur mit klassischen, eng geführten Therapieansätzen beschäftige, sondern mich auch mit benachbarten Bereichen wie Achtsamkeit oder schamanischen Ansätzen auskenne, und sie fanden, dass das gut zu ihrer Fachtagung „KRAFT“ passen würde.

Es berührte mich, so in meinem Wesenskern angesprochen zu werden, und so überlegte ich nicht lange und sagte den beiden zu, was direkt in diversen Überlegungen darüber mündete, was ich als meinen Beitrag zu der Tagung und zum Thema Kraft anbieten wollte. Da Kraft am besten dauerhaft für uns Menschen verfügbar sein sollte, kam ich sehr schnell auf die zentrale Ressource in einem menschlichen Leben: den Lebenssinn – der für mich wiederum ganz viel mit Lebensfreude zu tun hat.

Denn die Lebensfreude, davon bin ich überzeugt, beruht eben weniger darauf, dass wir den ganzen Tag „optimieren“ und ausschließlich die Dinge tun, die sich im jeweiligen Moment toll anfühlen, sondern sie steht in Verbindung mit dem inneren Sinngefühl. Wenn wir wirklich wissen wollen, was wir übergreifend, aber auch situativ dafür tun können, um Kraft in uns zu spüren, können wir uns also fragen: Was ist eigentlich für uns in unserem Leben so tief berührend, dass wir uns nicht nur in einem einzelnen Augenblick darüber freuen, sondern immer wieder? Mein Seminar war, so betrachtet, der Versuch einer Annäherung an diese Berührungen – die inneren Quellen der Lebensfreude also.

 

Lichterkette als Kraftquelle

Im Seminar nahmen 13 Teilnehmer:innen mit unterschiedlichen Bedürfnissen teil. Einige wünschten sich, Methoden für die Arbeit mit ihren Patient:innen zu lernen, und drei waren mit eher persönlichen Erwartungen dabei. Sie wollten mittels der Verbindung zur Lebensfreude wieder mehr in ihre eigene Kraft finden.

Daher widmete sich der erste Seminarteil zunächst dem gemeinsamen Ankommen, in der Gegenwart und im Raum, in der Gruppe und natürlich im eigenen Körpergefühl. Wir machten als erstes eine körperbezogene Gruppentrance, in der die Teilnehmer:innen über verschiedene Atemtechniken die Erfahrung machen konnten, in ihrem Körper unterschiedliche Bereiche zu harmonisieren. Für die sogenannte Yogische Vollatmung atmeten sie erst in den Bauch, danach in die Rippenbögen, schließlich nach oben ins Schlüsselbein, und ich verband dann alle Bereiche miteinander. Mit dieser Yogischen Vollatmung kann man den gesamten Rumpf füllen, hat dadurch schon mehr Energie, weil durch die vermehrte Sauerstoffaufnahme der Körper besser durchblutet wird, und fühlt den Körper besser.

Im nächsten Schritt gingen wir mit der Aufmerksamkeit mehr in den Rücken, und ich baute hypnotisch zwischen den Wirbeln das Bild einer Lichtersäule auf, über die die Teilnehmer:innen, wenn sie durch das Steißbein oder sogar durch die Füße einatmeten, ihren Atem wie kleine Lichtpunkte zwischen den Wirbeln erleben konnten. Die Idee dahinter ist, dass man sowohl im Atem als auch im Licht einen neuen freien Raum und damit eine besonders leichtfüßige Kraft entwickelt, anders als wenn man sich einfach nur mit Atem aufpumpen würde. Auf diese Weise kann man eine Kraft erleben, die ganz ohne Anstrengung zur Verfügung steht.

Wenn wir uns auf diese Weise über die Yogische Vollatmung positiv mit Energie füllen, ist die dabei entstehende Kraft eine gute Basis dafür, sich danach auch anderen, möglicherweise anstrengenden Themen zu widmen. Denn mit einer guten körperlichen Ausgangsposition sind wir auf Dinge, die mental anstrengend sind, besser vorbereitet. Der Körper kann dann wie ein gutes Gefäß für das sein, was wir im Seminar zum Thema Lebensfreude machen wollten.

 

Die Schalen füllen und leeren

Manche Teilnehmer:innen konnten den Raum und die Kraft sofort für sich erleben und davon profitieren, doch anderen fiel das schwerer. Sie konnten entweder die Atemübungen nicht so leicht durchführen, oder sie hatten ganz einfach ein anderes Tempo. Eine Teilnehmerin erzählte in der ersten Auswertungsrunde, sie hätte sich auf das Atmen überhaupt nicht einlassen können, weil sie die ganze Zeit Gedanken von ihrem eigenen Stress im Kopf und außerdem noch Rückenschmerzen hatte.

Wir sprachen über die sich daraus ergebende Frage: Wie kann man sich überhaupt dem Thema Lebensfreude zuwenden, wenn man sich total belastet fühlt, vielleicht auch gar keine Lust auf schöne Aktivitäten hat – etwa auf ein schönes Essen oder einen Spaziergang oder etwas anderes, was man sonst gerne machen würde? Oder wenn diese Aktivitäten fad schmecken, jedenfalls nicht so viel Freude wie sonst machen?

Es geht dann darum, als erstes das Stressempfinden loszuwerden und überhaupt wieder Motivation für die Kreation von Lebensfreude entstehen zu lassen. Sogar bei positivem oder Eustress! Denn wenn wir komplett angefüllt sind mit irgendwelchen Dingen, ob positiv oder negativ, können wir nicht gleichzeitig noch mehr aufnehmen, so wie wir ja auch keine Freude an einem leckeren Essen haben, wenn wir uns von der letzten Mahlzeit noch satt fühlen. Und bei einem negativen Stressgefühl ist es im persönlichen Empfinden sogar noch extremer, dann müssen wir das „Toxische“ auf jeden Fall erstmal aus uns heraus bekommen.

Dazu habe ich meinen Teilnehmer:innen eine effektive Methode erklärt, mit der wir in der Lage sind, uns mittels einer (Selbst-)Hypnose von Schmerzen, Gefühlen von Hilflosigkeit, Wut oder Ärger zu entlasten. In dieser Hypnose öffnen sich – gesteuert durch das Unbewusste – unsere Hände nach oben, und hypnotische Schalen finden Platz darin, damit unser Unbewusstes alles Belastende dort hinein leitet.

Sobald diese Schalen gefüllt sind, drehen sich die Hände – ebenfalls gesteuert durch das Unbewusste – in kleinen Bewegungen nach unten, und die Schalen entleeren sich. Wenn noch mehr Stress und Belastungen fühlbar sind, drehen sich die Hände wieder zurück, und dann füllen sich die Schalen erneut. Letzteres kann ganz von selbst vielleicht zwei- oder dreimal und bei Bedarf auch öfter hintereinander geschehen. Bis wir sukzessive spüren, dass es uns besser geht, dass jetzt Raum entstanden ist und wir endlich wieder aufnahmefähig für das Schöne in unserem Leben sind.

 

Auf dem Fischerboot

Darauf aufbauend schlug ich der Gruppe im nächsten Schritt vor, mit einem freiwilligen Teilnehmer zu demonstrieren, wie wir ein Lebensfreude-Reservoir in uns selbst über eine altersregressive Hypnose finden. Eine Hypnose also, bei der er ein früheres Lebensalter aufsucht, nochmals durchlebt und die in dem entsprechenden Lebensalter wahrgenommenen Gefühle durchläuft.

Der Mann reiste also in seiner hypnotischen Trance in eine Zeit als Teenager zurück, in der er in einem Camp zusammen mit anderen Jugendlichen zwei Wochen Urlaub gemacht und an die er schon vor der Hypnose gerne zurückgedacht hatte. Auf einmal war er wieder in dem Moment, in dem er zusammen mit einem anderen Jungen und einem Fischer morgens um vier Uhr auf einem Fischerboot gewesen war. Der Fischer hatte sie eingeladen, mitzukommen. Sie fuhren auf dem spiegelnden Wasser; es war ein Moment des Staunens, da draußen zu sein. Ein Gefühl wie neugeboren und gleichzeitig von oben bis unten mit Energie gefüllt. Ein Glücksgefühl war in ihm von der Brust durch den ganzen Körper geflossen.

Das meiste davon erzählte er uns nachher, aber ein wenig redete er auch in der Hypnose, und wir konnten sehen, wie gut es ihm tat, sich jetzt diesen Augenblick zu vergegenwärtigen und in seine Erinnerungen förmlich einzutauchen, denn er lächelte und begann sich wohlig zu räkeln. Das Schöne daran ist: Das, was in solch einer Hypnose auftaucht, ist oft berührender, angefüllter mit Leben als in einfachen Erinnerungen. Wir können sie geradezu körperlich im Hier und Jetzt erleben.

Hätten wir nur über eine Erinnerung an diese Zeit gesprochen, ohne Hypnose, hätte er sich vermutlich gar nicht immer weiter auf diesen Moment eingelassen – in der Hypnose aber fällt der innere Zensor weg und es ist oft viel leichter, das unmittelbar Erlebte zu vergegenwärtigen. Der Teilnehmer, der sich für die altersregressive Hypnose zur Verfügung gestellt hatte, berichtete uns, dass er sich nun sehr aufgeladen fühlte, und das wiederum führte dazu, dass auch die anfänglich etwas zweifelnden Teilnehmer:innen sich zu solch einer Art von Hypnose ermutigt fühlten.

In ihr, wie auch in einer Selbsthypnose, können wir tatsächlich Lebensfreude, Gelassenheit, Mut oder andere „gute“ Gefühle, die wir gerade benötigen, wieder aufsuchen und mitnehmen, und dann fühlt sich der Tag nicht mehr so anstrengend an. Unser Körper, unsere Emotionen und unser Geist sind wieder anders aufgelegt.

 

Du kannst fliegen

Nach dieser Demonstration beschäftigten wir uns zuletzt noch mit der Kraft der Verwandlung in einer metaphorischen Hypnose. In ihr hatten die Teilnehmer noch einmal gemeinsam die Gelegenheit, sich selbst als kleine Raupe einen Kokon zu spinnen, um die Gestalt zu verändern …, irgendwann von innen den Kokon zu öffnen und dann erleben zu können, wie das Licht hineinfällt und wie sie sich in einen schönen Schmetterling verwandelt haben.

Damit Sie sich diese Hypnose besser vorstellen können, hier ein Auszug aus meinem Text, mit dem ich diese Hypnose geführt und begleitet habe:

„Und irgendwann siehst du an einer Stelle des Kokons ein bisschen Licht durchschimmern, du nimmst wahr, dass der Kokon sich an einer Stelle öffnen möchte und aufbricht. Der Lichtstrahl leuchtet durch diese kleine Spalte hinein und mit der Berührung des Lichts spürst du, wie eine Woge der Vitalität und Energie durch dich hindurchzieht, so als würdest du mit dem Licht in deine ganz neue Energie hineinwachsen ...“

Die Teilnehmer:innen konnten jetzt über eine Wiese fliegen und erleben, dass alte Schranken zurückblieben und neue Freiheitsgefühle entstanden:

„Du bist jetzt freier, als du es Dir je erträumt hast. Du bist ein wunderschöner, vielfarbiger Schmetterling geworden… Als Schmetterling erprobst du nun Deine Flügel und erkennst, dass Deine Grenzen in unsichtbare Fernen gerückt sind. Du kannst fliegen … fliegen … du erlebst dich in einem ganz neuen Reich von Farben und Tönen und Freiräumen ...“

Die Teilnehmer:innen hatten abschließend auch noch die Gelegenheit, zurückzuschauen und den Kokon zu würdigen als etwas, was sie gehalten und geschützt hatte. So konnten sie sich in der Wandlung neu erleben, im Zurücklassen des Alten und in den Erfahrungen im Neuen. Denn es ging nicht darum, das neue Stadium besser zu bewerten als das alte. Es gab sogar zwei Teilnehmer:innen, die lieber im Kokon bleiben und sich noch länger in diesem geschützten goldenen Licht aufhalten wollten. Alles das war völlig in Ordnung und ich hatte es in der Hypnose als vielfältige Möglichkeiten offen gelassen.

In unserer Runde war nun für alle fühlbar und besonders schön zu erleben, dass sich am Ende des Seminars tatsächlich die gesamte Gruppe in einer guten, lebensfreudigen Grundstimmung befand. Und wir konnten gemeinsam teilen, dass Kraft und Lebensfreude auch durch Loslassen entstehen können – sei es auf der körperlichen Ebene durch das Ausatmen oder auf der seelischen Ebene – dadurch, dass erst einmal unangenehme Gefühle losgelassen werden, um Raum entstehen zu lassen für neue, schöne Erfahrungen.

Wir machten hier die gemeinsame Erfahrung, dass wir uns nicht sofort entmutigen lassen müssen, wenn unsere Bemühungen, Kraft und Lebensfreude zu erlangen, nicht gleich den gewünschten Erfolg erzielen.

Am Ende hat es sich gelohnt, dass wir uns mit verschiedenen Zugängen beschäftigt haben und uns nicht sofort vom Ziel abbringen ließen. Es sind eben nicht immer die eingespielten Wege, an die wir als erstes denken, die uns zu den Räumen der Lebensfreude führen, sondern manchmal ist es nötig und wichtig, erst noch einige andere auszuprobieren.