Juli 2024
Die Leichtigkeit des Sommers
Nun ist es endlich wieder Sommer, die Tage sind länger, das Wetter ist zumindest angenehmer als in anderen Jahreszeiten, viele haben Urlaub und verbringen mehr Zeit als sonst draußen. Ein Sommerfeeling stellt sich bei den meisten von uns ein, bei dem sich das Leben auf einmal leichter anfühlt und wir eine Ahnung davon entwickeln, dass es ja eigentlich überhaupt ganz leicht sein kann.
Wir spüren im Sommer die Leichtigkeit des Lebens, ganz so wie in dem alten Sommer-Ohrwurm, der mal vor langer Zeit zunächst durch die TV-Werbung für eine Rum-Marke bekannt wurde, seitdem immer wieder im Sommer gespielt wird und in dem es heißt:
Come on over have some fun, dancing in the morning sun.
Looking to the bright blue sky, come on let your spirit fly.
Living it up this brandnew day, summer sun it's time to play.
Doin things that feel so good. Get into the motion.
What I'm feeling. It's never been so easy.
When I'm dreaming. Summer dreaming ...
„It's never been so easy” – es war noch nie so einfach wie jetzt im Sommer. Aber wieso ist das eigentlich so? Hat das tatsächlich nur etwas damit zu tun, was der Sommer so mit sich bringt, dass also die Sonne gerade wirklich scheint und der Urlaub in Reichweite ist – oder liegt es nicht auch etwas daran, wie wir in dieser Zeit durchs Leben gehen?
Wenn das Sommerfeeling aber vielleicht wirklich nicht nur von den äußeren Umständen hervorgerufen wird, sondern etwas mit unserer sommerlichen Lebensart zu tun hätte – dann könnten wir uns fragen, ob die nicht vielleicht auch in andere Jahreszeiten transportierbar und ob die Leichtigkeit des Sommers nicht auch eine Qualität sein könnte, die wir vielleicht sogar üben und dann auch in anderen Jahreszeiten in uns entdecken können.
Die Leichtigkeit des Anfangs – „nur“ Oberfläche?
Wenn ich hier von Leichtigkeit spreche, will ich zunächst vorausschicken, dass es für mich zwei unterschiedliche Arten von ihr gibt.
Zum einen gibt es eine Leichtigkeit, die etwas damit zu tun hat, sich im Strom des Lebens tragen zu lassen, auf der Oberfläche des Wassers schwimmend, sich also irgendwie leicht und spielerisch durchs Leben zu bewegen. Das ist zum Beispiel die Leichtigkeit im Lebensgefühl des Partymachens, der berühmten Hängematte, des paradiesischen Strandes, der Palmen oder auf einem Segelboot, wie es uns häufig in der Werbung mit sonnengebräunten, lächelnden und superentspannten Menschen gezeigt wird.
Diese Leichtigkeit des Anfangs erleben wir auch oft, wenn wir etwas Neues beginnen, das wir uns ganz wunderbar vor dem inneren Auge vorstellen und in allen Farben ausmalen. Zum Beispiel eine Sportart wie das Federballspiel zu lernen und leichtfüßig die Bälle hin und her zu schicken: Da ist er, der Anfängergeist, der uns hilft, schnell zu ersten Erfolgserlebnissen zu kommen. Oder wie es bei Hermann Hesse heißt: „... jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“ Wer dann, wie ein Bekannter von mir, irgendwann in einen Badminton-Kurs im Sportverein geht, wird sich, zumal wenn er keinen guten Trainer erwischt, wundern, wie schnell diese Unschuld des Anfangs wieder verloren gehen kann.
Das ist die Leichtigkeit, wenn man sich in einem Thema noch nicht so gut auskennt. Die können wir auch im Urlaub in der Fremde erleben. Warum sitzen wir da zum Beispiel in einer Strandbar mit einem Cocktail in der Hand und fühlen uns federleicht? Weil wir uns von diesem Land, in dem wir Urlaub machen, die schönsten Seiten gewählt haben und uns ansonsten eben nicht so gut auskennen und weil wir auch nicht konfrontiert werden (wollen) mit den wirtschaftlichen, sozialen und Umweltproblemen und mit all dem, womit dieses Land vielleicht zu kämpfen hat.
Wir nehmen hier nur einen kleinen Ausschnitt wahr, und ja, man könnte das als oberflächlich bezeichnen. Aber man könnte alternativ auch sagen, es gibt da so eine wunderbare Blase von Geborgenheit oder Leichtigkeit, die wir aufsuchen und in der wir die Seele baumeln lassen können, weil wir uns nicht in all der Komplexität und Problematik involviert fühlen, die es ebenfalls gibt. Eine Oase der Leichtigkeit also, die durch unsere selektive Wahrnehmung entsteht. Ist diese Art der Leichtigkeit deshalb ein Irrtum oder ist sie einfach nur oberflächlich? Keineswegs, denn sie erfüllt ihren Zweck und Reisende sind schon seit Menschengedenken zu anderen Orten unterwegs, um Abstand vom Alltag zu erleben. Worum es mir hier geht, ist diese gewisse Reibungsfläche im Wort Oberflächlichkeit, das wir zumeist abwertend interpretieren, das uns aber unbestreitbar auch zu Leichtigkeit verhelfen kann.
Die Meisterschaft der Leichtigkeit
Überdies gibt es aber auch noch eine zweite Leichtigkeit, und bei ihr muss ich immer daran denken, wie ich einmal als Kind eine Ballettaufführung gesehen habe, etwas von Tschaikowski, „Schwanensee“ wahrscheinlich oder vielleicht war es auch der „Nussknacker“.
Der Tänzer, der da eine der Hauptrollen getanzt hat, hat seine Sprünge mit einer unglaublichen Leichtigkeit gemacht und mich damit ungeheuer fasziniert. Es sah einfach so leicht aus! Heute weiß ich, was für eine Arbeit dahintersteckt und wie schwer es ist, überhaupt diese Art von Meisterschaft zu erreichen, es hat mit sehr viel Übung und mit sehr viel Know-how zu tun.
Doch wenn ein Tänzer das alles kann und gelernt hat, kann er, um nicht in so eine Verbissenheit zu geraten, die wir manchmal bei Profis beobachten können, noch einen Schritt weitergehen. Ein noch viel besserer Tänzer wird er, wenn er es dann schafft, sich von der Schwere des Anfangs wieder zu lösen, sodass er einen Zustand der automatisierten und zugleich quasi schwebenden Perfektion und damit eine weitere Stufe der Meisterschaft, nämlich die Meisterschaft der Leichtigkeit erreicht.
Sie können das gut nachvollziehen, wenn Sie daran denken, wie viel Freude Ihnen ein Hobby machen kann, sei es eine Sportart, eine kreative Tätigkeit wie zum Beispiel das Malen von Bildern oder auch das Kochen und Backen. Wenn Sie dann aber anfangen, das Hobby nach und nach zu professionalisieren, dann kann es schnell anstrengend werden, weil Sie unvermutet in die Gefahr geraten, im Leistungs- und Bewertungsstress des Erfolgsdrucks die Leichtigkeit zu verlieren. Denn dann kommen die Ängste vor dem Versagen. Das kann sich körperlich niederschlagen, etwa in Verspannungen im Nacken oder im Rücken.
Doch die Leichtigkeit derart wieder zu verlieren, das könnte auch nur ein Zwischenstadium sein. Der Weg zur Meisterschaft der Leichtigkeit wäre es, dann im nächsten Schritt das Gelernte zwar weiter zu beherrschen, sich gleichzeitig aber von der Anstrengung wieder etwas lösen zu können.
In der buddhistischen Psychologie spricht man in diesem Zusammenhang davon, sich wieder von der sogenannten Anhaftung zu lösen, und ich als Psychologin kann es als eine Loslösung vom Festbeißen beschreiben, von zu vielen perfektionistischen Ansprüchen an das Ergebnis, die sich mit Leichtigkeit nicht vertragen. Manchmal ist es auch zu viel persönliche Identifikation, denn wenn ich mich als Person zu sehr identifiziere mit dem, was ich da gerade lerne oder erreichen will, ist das Ergebnis subjektiv bedeutungsvoller. Es ist also gut und sinnvoll, etwas erreichen oder schaffen zu wollen, aber ich als Person oder meine Integrität stehen nicht infrage, wenn ich dahin nicht oder nicht sofort komme.
Wenn Sie jetzt den Eindruck haben, dass das, was ich da beschreibe, etwas paradox ist, gebe ich Ihnen unumwunden recht: Ja, das ist es, wie so viele Dinge in unserem Leben. Es ist ein Paradox, gleichzeitig sich vollkommen in etwas hineinzuhängen, das Beste zu geben, aber sich gleichzeitig wieder davon zu lösen – doch es geht tatsächlich! Das ist so ähnlich wie bei der Ressource sanfter Entschlossenheit, die ich Ihnen in einem früheren Text hier im Blog als eine Verbindung zwischen Sanftheit und Entschlossenheit, von Loslassen und Durchhalten ans Herz gelegt habe.
Von der Anstrengung ins Herumalbern
Nun könnten Sie einwenden, dass das zwar ein schöner Gedanke ist, aber dass wir sehr vielen Menschen begegnen, denen diese Meisterschaft der Leichtigkeit im Alltag eher nicht gut zu gelingen scheint. Und tatsächlich glaube ich auch, dass viele Menschen nicht wissen, dass das gleichzeitige sich Hineinvertiefen in und Loslösen von anstehenden Aufgaben mit den richtigen Strategien möglich wird, sodass es in sinnvoller Partnerschaft kombiniert werden kann.
Die meisten von uns halten nur das eine oder das andere für möglich: entweder die Leichtigkeit des Lebens, in der man sich entspannt – oder der sprichwörtliche „Ernst des Lebens“, in der es um Erfolgs- und Zielorientierung geht. Aber beides zusammen? Die volkstümliche Redewendung „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps“ scheint darauf eine ablehnende Antwort zu geben.
Aber wir alle erleben immer mal wieder das Gegenteil. Als ich zum Beispiel meine Musikhypnosen aufgenommen habe, gab es zwischendurch immer wieder Hindernisse: Erst haben die Arrangements der Stücke viel mehr Zeit in Anspruch genommen als erwartet, dann war die Bearbeitung mit der Musiksoftware schwierig, dann war zwischendurch plötzlich die Aufnahme verschwunden, ... dann war irgendwie einmal hier und einmal dort ein Fehler oder es klang nicht so, wie es klingen sollte ...
Stunden um Stunden vergingen an vielen Abenden und Wochenenden, und wir waren manches Mal ein wenig „gaga“. In solchen Situationen kam immer irgendwann ein Moment, in dem es von der Anstrengung in ein Herumalbern schwappte. Dann war eigentlich alles nur noch komisch, gerade weil es eben einfach nicht klappen wollte. Kennen Sie das? Zu lachen, weil man einfach nicht weiterkommt, und weil man nach acht Stunden Arbeit – wenn überhaupt – nur ein Mini-Schrittchen gemacht hat.
Der Humor hilft uns, die Leichtigkeit wiederherzustellen, und so geht dann alles tatsächlich wieder leichter von der Hand, weil die vorherigen Verkrampfungen sich aufgelöst haben.
Die Hindernisse überwinden
Was ist das größte Hindernis bei Ihrer Suche nach der Leichtigkeit im Leben? Das ist vor allem die Verbissenheit, wenn wir uns zu sehr anstrengen, etwas unbedingt wollen und nicht mehr darauf achten, uns zwischendurch auch einmal wieder davon zu lösen, also eine befreiende Distanz zu schaffen. In so einem Fall entsteht ein Tunnelblick, der zur mentalen und körperlichen Verkrampfung führt. Sie zeigt sich unter anderem körperlich als Verspannung im Nacken (Stichwort „hartnäckig“) oder im Kiefergelenk wie beim Zähneknirschen (Stichwort „verbissen“).
Und was können Sie tun, um diesen Hindernissen aus dem Weg zu gehen bzw. sie zu überwinden? Da kann ich Ihnen dreierlei mit auf den Weg geben.
Das Erste ist: Versuchen Sie, immer eine Verbindung zu halten zwischen „Schnaps“ und „Dienst“, dem Spielerischen und dem Ernsthaften, zwischen der Leichtigkeit der Oberfläche und der Schwere der professionellen Vertiefung. Was auch immer Sie tun, ob in der Freizeit oder in der Arbeit, ob als Anfänger oder als Fortgeschrittener, es sollte Ihnen immer wieder Spaß machen – und es kann auch Spaß machen. Ist das nicht der Fall, dann ist das eher ein Zeichen dafür, dass Sie sich in der Menge übernehmen, oder dass Ihr Zielanspruch zu groß ist.
Das Zweite ist die die Distanzierung von zu viel Identifikation mit dem, womit ich mich beschäftige, durch Humor. Wenn es bei mir in meinem Beruf mal sehr stressig wird, dann kommt es mir phasenweise so vor, als ob ich durch ein Hamsterrad renne. Doch wenn ich meine bildliche Vorstellung von mir selbst als rennende Hamsterfrau mit hechelnder Zunge und spritzenden Schweißtropfen, über meine kleinen Füßchen stolpernd, innerlich übertreibe, bis ich mich mit einem inneren Auge von Weitem durchs Rad rasen sehe, mit fliegenden Haaren und immer dicker werdenden Falten und heraustretenden Augen – dann muss ich lachen, weil ich über die humorvolle Distanzierung mit dem Blick von außen auf mich klarer erkenne, wie sehr ich mich wieder einmal in meinem eigenen Stress verstrickt habe und nun darin scheinbar gefangen bin.
Manchmal geht es leichter sich zu lösen, wenn wir uns in so einer Situation mit Freunden offen und ehrlich über die vermeintlichen Schwächen unterhalten können. Wenn die Menschen uns gut kennen, dann gibt's bald über ein verständiges Nicken hinaus irgendein humoriges Stichwort, und dann können wir gemeinsam lachen über das, was uns da schon wieder passiert ist oder – etwas aktiver – über das, worin wir uns gerade wider besseres Wissen wieder einmal verrannt haben – so wie ich es Ihnen eben auch von der Arbeit an den Musikhypnosen erzählt habe. Beim gemeinsamen Lachen wird alles leichter und leichter, der eine steckt den anderen mit seinem Lachen an, und es kommt eine Lachsalve nach der anderen. Das ist dann der herrliche Engelskreislauf der Leichtigkeit, unser Gegenstück zum Teufelskreis der Angst oder der Schwere.
Und das Dritte, was ich Ihnen ans Herz lege, hängt mit der naheliegenden Möglichkeit zusammen, dass wir uns zur Aufheiterung und Erinnerung an unser Leichtigkeitsempfinden in früheren Augenblicken erinnern können. Wenn es gelingt, solche Momente zum Beispiel in einer Selbsthypnose geradezu körperlich zu fühlen und erneut in der Fantasie zu erleben, entspannt sich das psychovegetative System sofort und schaltet in den Erholungsmodus.
Aber auch unmittelbare, gegenwärtige Sinneserfahrungen, die sich körperlich angenehm anfühlen, wie die ausgiebige Dusche oder das Mitwippen zur groovigen Musik, kann sofort wirken. Oder man legt sich für ein paar Minuten ausgestreckt auf einen nicht zu weichen Untergrund, zum Beispiel eine Yogamatte, geht schwimmen oder oder ... Alles das aber nicht mit irgendeinem ehrgeizigen Leistungsziel, sondern so, dass es sich einfach im Ganzen gut anfühlt.
Manchmal kann es auch eine körperliche Anstrengung sein, die uns dann wieder in die Leichtigkeit führt, wie bei der progressiven Muskelentspannung mit Kraftübungen oder auch beim Walken oder Joggen, wo wir dann während der körperlichen Anstrengung die mentale Verkrampfung lockern und vielleicht sogar zügig auflösen können. Das kann fantastischer- weise auch bei einem Lieblingssong passieren – ich habe jetzt zum Beispiel eine Summer Samba entdeckt, bei der ich mich ausschütteln und lockern kann.
Die Anregung der Umschaltung von der Stressreaktion in die Entspannungsphysiologie kann sogar durch einen Duft ausgelöst werden oder auch durch eine bestimmte Wetterlage – wie bei dem Klienten, der mir erzählte, er bekomme im Frühsommer bei schönem Wetter immer so ein „Kurze-Hosen-Feeling“, weil das in seiner Kindheit das Wetter war, in dem er zum ersten Mal im Jahr in kurzen Hosen raus durfte.
Ein Platz für die Leichtigkeit
Die Leichtigkeit ist tatsächlich ein Teil von Ihnen, nicht nur im Urlaub und nicht nur in der Hängematte, mit dem Cocktail in der Strandbar oder in irgendwelchen anderen Ausnahmesituationen, sondern sie ist ein Schatz, den Sie zu jedem Zeitpunkt für sich heben können. Und sie kann sich durch regelmäßiges Üben weiterentwickeln. Geben Sie ihr einen Platz in ihrem Leben, zeigen Sie ihr, dass sie Ihnen wichtig ist, aber nehmen Sie sie bitte nicht zu ernst, denn wenn die Leichtigkeit zur Pflicht wird, geht sie verloren. Probieren Sie Ihre Leichtigkeit einfach ein bisschen aus, ganz spielerisch.
Und wenn es einmal nicht sofort klappen will, dann ist es gut, sich eine dieser wohltuenden Situationen zu erschaffen, über die wir gerade gesprochen haben: Vertiefen Sie sich geradezu körperlich in die schöne Melodie, die Sie anhören, riechen Sie mit allen Sinnen an der pinkfarbenen Rose, die in ihrer ganzen Schönheit in der Vase steht und lieblich duftet, oder erinnern Sie sich auf dem Boden liegend an den Urlaub, in dem Sie Ihre tollen Radtouren unternommen haben.
Anders gesagt: Umgeben Sie sich mit allen Leichtigkeitssignalen, die Ihnen weiterhelfen, wenn sich alles mal wieder ganz schwer anfühlt oder wenn der Sommer wieder vorbei ist.
Denn wenn Sie die Meisterschaft der Leichtigkeit erlangt haben – dann brauchen Sie den Sommer gar nicht mehr dafür ...