Oktober 2024
Was ist eigentlich der Motor in Ihrem Leben? Und was sorgt dafür, dass dieser Motor wie geschmiert läuft? Was treibt Sie an, was zieht Sie an, wenn Sie Ihre Tage gestalten? Kommt es aus Ihnen heraus oder eher von außen?
Ich stelle diese Fragen heute an den Anfang, weil ich sie mir vor Kurzem wieder einmal selbst gestellt habe. Der Anlass dafür war eine Begegnung beim morgendlichen Schwimmen ...
Henry jagt Enten
Im Sommer beginne ich meinen Tag gerne damit, hier in Münster im Dortmund-Ems-Kanal eine Runde Schwimmen zu gehen. Es ist da morgens noch sehr still, das macht mein Ritual zu einem kontemplativen Erlebnis. Ich schwimme im stillen Wasser zwei Brücken auf der einen Kanalseite hin, wechsle die Seite, dann geht es wieder zwei Brücken zurück und ich starte erfrischt in meinen Tag.
Eines Morgens schwamm ich also vor einigen Wochen ganz genüsslich vor mich hin und war schon auf dem Rückweg, da tauchte auf einmal direkt links neben mir etwas auf. Ich drehe meinen Kopf zur Seite und sah eine imposante Hundeschnauze, die zu einem großen Hund gehörte, der eilig auf mich zu gepaddelt kam.
Bevor ich mich überhaupt wirklich erschrecken oder mich fragen konnte, was los war, hörte ich auch schon eine männliche Stimme vom Kanalrand, die rief: „Henry, Henry! Komm sofort da weg!“ An mich gerichtet schob die Stimme noch nach: „Das darf der Henry überhaupt nicht!“ Und dann hörte ich eine Frauenstimme, die ergänzte: „Ach, das tut mir so leid, aber der Henry, der jagt immer so gerne Enten.“
„Ja, ich bin die neue Rotschopfente“, rief ich spontan lachend zurück, da wurde Henry auch schon erneut vom Herrchen zurückgerufen und schwamm erstaunlich schnell bis zur nächsten Leiter an der Spundwand des Kanals. Nun konnte ich voller Erstaunen und Bewunderung beobachten, wie dieser ansehnliche große Hund die Leiter hochkletterte. Sein Herrchen half mit dem Halsband ein wenig nach, damit er wirklich fix heraus kam, doch es war deutlich zu sehen: Das machten die zwei auf keinen Fall zum ersten Mal, sie waren dabei ein eingespieltes Team.
Henry jagte also morgens gerne Enten, das gab ihm offensichtlich so ein Gefühl, in seinem Saft und seiner Kraft zu sein, dafür nahm er auch einen Sprung aus einiger Höhe in den Kanal und das schwierige Klettern über die Leiter zurück in Kauf. Die Anziehungskraft, die die Enten auf ihn ausübten, gaben ihm dafür ganz augenscheinlich die erforderliche Power und Leichtigkeit.
Ich fragte mich: Was bei Henry die Enten sind – was ist das bei uns Menschen? Was ist unser Motor? Gibt es etwas, was uns alle antreibt oder anzieht, oder sind wir da alle verschieden?
Verbindung von Körper und Geist
Jeden Morgen stehen wir auf, das fällt uns mal leichter und mal schwerer, aber irgendwie schaffen die meisten von uns das regelmäßig und zuverlässig. Zugegeben, da gibt es auch Tage, wo wir es eher automatisch aus purem Pflichtbewusstsein tun und uns auch gar nicht erst fragen, ob wir das wirklich wollen oder nicht. Aber es gibt für uns alle auch einen Fundus an Möglichkeiten, den Tag mit etwas zu beginnen, auf das wir uns freuen und das uns im Idealfall genug Energie für den ganzen Tag gibt.
Bei mir ist es den Sommer über auf jeden Fall das Schwimmen im Kanal, das mir diese Power gibt, bei anderen ist es das Laufen oder Walken, Yoga oder sonst etwas, was mit Bewegung zu tun hat. Damit möchte ich nicht darauf hinaus, dass jeder Mensch unbedingt Sport auf eine bestimmte Art und in einem bestimmten Umfang treiben muss. Sich jedoch jeden Tag körperlich moderat zu bewegen, ist auf jeden Fall etwas, was uns dabei hilft, sowohl körperlich wie mental in Schwung, zu kommen.
Denn bei allen Unterschieden zwischen uns Menschen gibt es doch Eckpunkte, die für uns alle wichtig sind, und einer davon ist, dass es gut ist, wenn wir Körper und Geist immer wieder näher zusammenbringen. Was wir zum Beispiel ja wissen, ist dass wir nicht den ganzen Tag über ausschließlich sitzende Tätigkeiten ausüben und zum Beispiel immer nur auf den Bildschirm schauen sollten. Das hat etwas damit zu tun, dass die körperlichen und die geistigen Vorgänge hierbei auseinanderlaufen und der Körper sich verspannt, ohne dass wir es wahrnehmen können. Erst der Schmerz im Nacken oder ein Brennen in den Augen erinnern uns daran, dass es wichtig ist, wieder eine Verbindung zum Körper schaffen. Das schaffen wir besser mit einem Fokus auf den Körper, mit Bewegung, vielleicht auch, wie beim Yoga, Tai-Chi oder Qigong, mit einer bewussten Verbindung von Atem und Bewegung, oder auch wie in Achtsamkeitstrainings, z. B.im MBSR (Mindfulness-based stress reduction) vermittelt.
Bei aller Unterschiedlichkeit können wir uns alle auf die Suche begeben nach dem, was uns hilft, diese Verbindung von Geist und Körper wiederherzustellen. Diesen Suchprozess können wir natürlich auf unterschiedliche Weise gestalten.
Gewohnheiten ändern
Eine Möglichkeit besteht darin, unsere bisherigen Gewohnheiten zu hinterfragen. Ein Bekannter erzählte mir zu diesem Thema vor einiger Zeit von einem Podcast, den er gehört hatte. In dem hatte der Podcaster darüber gesprochen, dass wir doch ab dem Alter von 50 Jahren damit aufhören sollten, immer nur an die anderen statt an uns selbst zu denken. Besser sollten wir uns – so der Podcaster – im Sinne einer Work-Life-Balance auf das fokussieren, was wir denn eigentlich wirklich aus uns selbst heraus wollen.
Ehrlich gesagt, mag ich nun diese Art von ratgeberigen Podcasts gar nicht so besonders, ich finde sie meist etwas zu platt. Und zu sagen, dass man, wenn man 50 ist, auch mal wieder mehr an sich und nicht an die anderen denken muss, finde ich sehr simpel.
Dennoch: ich stimme der Aussage im Podcast doch insoweit zu, dass das, was uns anzieht oder antreibt, im Laufe eines Lebens nicht unbedingt immer gleich bleiben muss, sondern sich phasenweise wieder verändern kann – ohne dass man alle Veränderungen deswegen gleich mit bestimmten Lebens-Dekaden verbinden muss. Vielleicht haben wir mit 20 oder 30 tatsächlich andere Antreiber, Zugpferde oder Motivatoren als in späteren Jahren, und Gewohnheiten, die wir mal etabliert und die uns lange befeuert und Sinn gegeben haben, sind möglicherweise irgendwann überholt.
Wann wir auch immer das Bedürfnis danach verspüren, wir können uns in unserem Leben verändern, und insofern ist es nicht schlecht, sich von Zeit zu Zeit diese Frage, was unsere Motivatoren sind, einmal wieder zu stellen. Möglich ist das zum Beispiel auch im Heldenreise-Workshop, den ich regelmäßig anbiete und von dem ich Ihnen hier im Blog schon einmal erzählt habe.
Von innen oder außen?
Auch wenn Sie schon eine Vorstellung davon haben, was Sie zieht oder treibt, könnten Sie natürlich hinterfragen, inwieweit das eher aus Ihrem Inneren heraus oder von außen gesteuert wird. Manchmal müssen wir einfach diese eine Arbeit unbedingt noch fertig machen, das ist dann immens wichtig und muss richtig gut werden ... Und dann merken wir vielleicht gar nicht mehr, wie dringend wir eine Pause benötigen oder dass wir Hunger haben.
Zu einem Teil mag dann sicherlich eine für Sie durchaus positive Motivation, wie der Ehrgeiz, schnell fertig zu werden, beteiligt sein. Dennoch ist es oft so – und vielleicht auch für Sie – dass wir uns unter Druck dann auf eine unangenehme Weise getrieben fühlen.
In Situationen jedoch, in denen das Gefühl, durch Druck von außen oder irgendwelche Umstände oder Zwänge gesteuert zu sein, fehlt, können Sie einen Unterschied wahrnehmen. Sie spüren dann, dass Sie das, was Sie tun, wirklich selbstbestimmt tun, dass es Ihnen gut tut, dass Sie es gerne machen und dass es etwas ist, was Sie wieder in Ihre Mitte bringt.
Das Wort „treiben“ trägt diese beiden Möglichkeiten der Motivation von außen oder von innen schon in sich. Wenn wir vom Getrieben-Sein sprechen, haben wir meist einen Antrieb von außen vor Augen, und beim „inneren Antrieb“ ist die intrinsische Herkunft offenkundig. Ich mag in diesem Zusammenhang das Wort „ziehen“ fast noch etwas mehr, weil es sehr schön die Anziehung ausdrückt, die bestimmte Ziele oder auch Tätigkeiten auf uns ausüben – so wie bei Henry die Enten, von denen er sich augenscheinlich in allen Lebenslagen immer wieder magisch angezogen fühlt.
Was es auch immer ist, was uns Menschen in unserer Verschiedenheit antreibt oder anzieht, was uns wirklich guttut – Klavier zu spielen, einen Abendspaziergang zu machen, ein langes Telefonat mit der besten Freundin zu führen – es macht Sinn, sich nicht darauf zu verlassen, dass das von selber geschieht, sondern es idealerweise als gute Gewohnheiten in unseren Lebensentwurf mit einzubauen, es also genauso mit einzuplanen wie unsere Pflichten, wie alles, was uns von außen aufoktroyiert wird.
Und dann können wir z. B. kleine Rituale für uns finden oder auch Zäsurpunkte einplanen, wo wir dann immer mal wieder von neuem überprüfen, was uns zieht oder treibt. Die Frage lautet dann: Was gibt uns in unserem Leben eine innere Füllung, was nährt uns, was gibt uns einen Sinn? Bei welcher Tätigkeit kommt eine Resonanz in uns auf, und wie und woran merken wir das überhaupt?
Balance zwischen Notwendigkeit und Freude
Ich kann für mich persönlich sagen, dass einer meiner größten Motoren neben dem, was ich in meiner Praxisarbeit richtig gerne mache, immer wieder etwas ist, bei dem mein Herz spontan berührt wird. Meine Erfahrung ist, dass es an jedem Tag etwas gibt, was auf diese Weise meinen Motor in Gang hält, was mich also mental nährt.
Und, wie jeder Motor einer Maschine, muss auch unser Motor immer wieder betankt werden mit etwas, was ihn in Gang bringt und in Gang hält, und er muss auch geschmiert werden, damit er leicht laufen kann. Dabei handelt es nicht nur um unsere gewohnte Ernährung mit Speis und Trank, sondern auch um eine Nährung mit Freude und Motivation.
Ich denke dabei nicht so sehr eine Art von Selbstverwirklichung in dem Sinne, dass ich ausschließlich lustgesteuert permanent immer nur machen muss, wohin mich gerade meine nächste spontane Idee zieht – zum Beispiel, wenn wir an Henry denken, an eine unbedingte Befriedigung des (Jagd-)Triebes.
Doch was bei Henry der Jagdinstinkt ist, sind bei uns vielleicht – neben den notwendigen Pflichten des Lebens – ganz spontane spielerische Impulse, denen zu folgen uns, wenn sie nicht sozial schädlich sind oder andere gefährden, sehr guttun kann. Ich erinnere mich etwa an einen Spaziergang mit einem Bekannten, wo wir plötzlich Lust hatten, den Forstweg zu verlassen und einfach mal querfeldein durch das angehäufte Laub zu laufen, wie wir es als Kinder gemacht hatten – und wie belebend das war.
Über solche beglückenden spontanen Impulse hinaus habe ich, wenn ich Ihnen die Beschäftigung mit Ihrem Antrieb oder Ihrem Zug ans Herz lege, einen gleichmäßigen Motor vor Augen, der uns kontinuierlich und verlässlich antreibt – wenn wir also ein Bewusstsein dafür entwickelt haben, was uns motiviert, und das regelmäßig in unser Leben einbauen.
Wenn ich das Motorenbild verwende, geht es mir dabei aber nicht darum, dass wir wie eine Maschine immer nur funktionieren müssen. Das ist durchaus ein notwendiger Teil unseres Lebens, aber es ist nur dann gut, wenn es eingebettet ist in ein im wahrsten Sinne des Wortes sinnvolles Gesamtkonzept, wenn wir eine Balance finden zwischen dem Korsett von den Dingen, die notwendig sind, die wir machen müssen, und denen, was uns Freude bereitet, was uns guttut.
Natürlich kann keiner von uns den ganzen Tag machen, was er will, denn wir leben in einem Kontext und die eigene Selbstverwirklichung hört immer da auf, wo die Grenzen des Nachbarn beginnen. Aber genauso wenig ist es sinnvoll, immer nur das zu machen, was andere von uns erwarten.
Ich bin überzeugt: Es gibt für uns alle immer irgendetwas, was als Antriebsquelle für uns verfügbar ist, wir müssen nur herausfinden, was es ist. Manchmal hilft es, dass wir uns erinnern, was uns früher motiviert hat, manchmal ist es nützlich, bei anderen zu schauen, was die antreibt.
Mein Appell an Sie ist: Kümmern Sie sich um Ihren Motor, machen Sie ab und zu einen Motor-Check, und setzen Sie nicht selbstverständlich voraus, dass er immer so ohne Weiteres anspringt. Wie gut ist es, wenn Sie wissen: Was braucht Ihr Motor? Ihr geistiger Motor, Ihr seelischer Motor und auch Ihr körperlicher Motor? Und wie halten Sie ihn am Laufen, ohne dass Sie sich immer zu etwas zwingen müssen?
Ich wünsche Ihnen, dass es immer wieder Dinge in Ihrem Leben gibt, die Sie so anziehen und Ihnen so viel Power und Leichtigkeit geben wie Henry die Enten im Dortmund-Ems-Kanal ...