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Oktober 2025

„Was soll ich denn bloß machen?“ – Gedanken über eine Frage und das, was dahintersteckt

„Was soll ich denn bloß machen?“ Sicherlich haben Sie sich das auch schon oft gefragt in Momenten der Unsicherheit oder Ratlosigkeit, oder Sie haben die Frage an Menschen in Ihrem Umfeld gerichtet.

Ich höre die Frage oft in meiner Arbeit von Klienten, die zu mir in die Praxis kommen. Sie haben mir von sich erzählt, von Problemen, Ängsten, Sorgen, und nun wollen Sie einen Rat von mir: „Frau Weinspach, was soll ich denn bloß machen?“

Diese Frage kommt häufig mit einem Hauch von Verzweiflung, manchmal auch als hilflose Frage, zuweilen fordernd – so, als müsse es doch meinerseits irgendeine richtige Antwort geben. Eine Anleitung, eine Lösung, ein Rezept, das man nur noch anwenden müsse.

Ich verstehe das gut. Wir Menschen wollen etwas machen, etwas tun, sobald es schwierig wird. Wir wollen etwas bewegen, verändern, in Ordnung bringen. Doch dieser Aktionismus basiert auf einem Missverständnis: Denn das Machen ist kein Wert an sich.

Wir hoffen zwar, dadurch etwas Bestimmtes zu erreichen, aber wir vergessen dabei leicht, dass die Lösungen nicht immer im TUN liegen. Das wiederum liegt an den unterschiedlichen Teilen, die uns Menschen ausmachen und die wir in diesem Blog in den vergangenen Monaten besprochen haben (unser Geist, unsere Gefühle, unser Körper, unsere Beziehungen zu anderen und unsere Beziehungen zu uns selbst). Diese Qualitäten mit in den Blick zu nehmen und uns mit ihnen zu verbinden, kann auf der Suche nach der richtigen Aktion manchmal verloren gehen.

Was also sollen wir machen mit der Frage: „Was soll ich denn bloß machen?“

 

Das Gleiche, doch ganz unterschiedlich

Beim Machen geht es eigentlich um die Materialisierung von den genannten menschlichen Facetten, die wir uns in den anderen Blogtexten gemeinsam angeschaut haben. Wenn ich zum Beispiel eine Freundin besuche, drücke ich vielleicht meine Freude, sie endlich einmal wiederzusehen, dadurch aus, dass ich einen Blumenstrauß kaufe, ihn ihr in die Hand drücke, sie anlächle und in den Arm nehme.

Da kommt mindestens zweierlei zusammen: Ich habe meine Freude, also meine Emotion wahrgenommen. Dann habe ich den Gedanken, dass ich ihr vielleicht eine Freude machen kann. In der Ausführung dieser Facetten kaufe ich den Blumenstrauß und gebe ihr den als Ausdruck meiner Freude, meiner Liebe, meiner Wertschätzung.

Wenn es jetzt aber irgendeinen ungeklärten Konflikt zwischen mir und meiner Freundin gäbe und ich sie besuchen würde, damit wir unsere Themen klären, könnte mein Motiv für den Blumenkauf sein, dass ich nicht mit leeren Händen dastehen möchte. Dann hätte der Blumenkauf eine ganz andere Qualität. Beide Male würde ich das Gleiche tun, ich würde Blumen kaufen, die ich ihr überreichte, und doch wären die Situationen ganz unterschiedlich. Von Bedeutung ist also, in welchem inneren Kontext ich etwas mache.

In den Gesprächen mit meinen Klienten zum Thema „Was soll ich machen?“ stellt sich oft heraus, wie sehr eigene innere Filme – oft in einer unbewussten „Inszenierung“ – für die Ratlosigkeit verantwortlich sind.

In der Inszenierung geht es darum, wie etwas sein sollte, wie es ja schon in der Formulierung „Was soll ich machen?“ enthalten ist: „Wie mache ich es richtig, wie mache ich es gut, wie machen die anderen das?“ Und: „wie sehen mich die anderen, wenn ich es so mache oder wenn ich es so nicht mache?“ Im Beispiel der Blumen für meine Freundin wäre das vielleicht mein Gedanke, dass ich ja schlecht mit leeren Händen bei ihr erscheinen kann.

Die Frage nach dem Sollen wie auch die Frage nach der Sicht von Anderen ist immer eine Außenperspektive und eine normorientierte Sichtweise. Im kleinen Wörtchen soll ist ja auch schon enthalten, dass es um etwas geht, das richtig oder falsch entschieden werden könnte. Sollen ist dennoch nicht ganz so stark wie müssen – was noch mehr inneren Druck erzeugen würde, wenn ich etwa zu mir selbst sage „jetzt muss ich das machen“, oder wenn ich jemanden frage „muss ich das jetzt wirklich machen?“ Eine Paradoxie, die ich immer wieder höre an dieser Stelle,ist die Autosuggestion: „Jetzt muss ich mir aber endlich mal wieder etwas Gutes tun“.

In beiden Fällen ist entweder ganz direkter Druck von außen, zum Beispiel in Form von Normen oder Regeln, im Spiel, sodass man sich von jemandem oder von etwas gezwungen fühlt, oder es ist ein sehr starker innerer Druck, der Menschen denken lässt, sie müssten etwas Bestimmtes tun.

Beim Sollen ist der Druck gelegentlich ein bisschen schwächer, da geht es eher darum, etwas wirklich vollends richtig zu machen. Hier steckt die fixe Idee dahinter, dass es so etwas gibt wie ein absolutes Lösungsideal. Der innere Glaubenssatz lautet hier: „Nur, wenn ich dieses Ideal erreiche, dann ist es gut, dann geht es mir auch gut“.

Diese Überzeugung ist für mich einer der größten Irrtümer bezüglich menschlicher Entwicklung. In unserer Gesellschaft ist sie dennoch weit verbreitet, zum Beispiel bezogen auf bestimmte Lebensformen oder materielle Güter: Wir sollten eine bestimmte äußere Erscheinung haben, zum Beispiel schlank sein, wir sollten eine Familie gründen, in einem Haus mit Garten leben, einen Baum pflanzen, zweimal im Jahr in den Urlaub fahren etc.

Die Vorstellung hinter all diesen Gedanken ist immer dieselbe: Wir müssten ein äußeres Ideal erreichen, und wenn wir das geschafft hätten, dann ginge es uns gut. Doch das funktioniert so nicht und ist im Übrigen ganz unabhängig vom Ideal. Es funktioniert mit keinem Ideal, weil die Passung fehlt.

 

Wo will ich überhaupt hin?

Eine gute Frage, denn oft geht es nicht um Richtig oder Falsch, unter Zuhilfenahme einer Norm oder eines Ideals, sondern es geht eher um die Hoffnung, dass sich über das Machen etwas in der inneren Gefühlslage verändert – bei mir oder meinem Gegenüber.

Im Beispiel mit meiner Freundin könnte das der Wunsch sein, dass ich mit dem Blumenkauf selbst wieder in ein positiveres Gefühl ihr gegenüber komme oder dass sich in ihrer Emotion etwas verändert und die Harmonie zwischen uns wieder einkehrt. Übrigens können Blumen in Beziehungen durchaus Wunder wirken, wenn sie mit der passenden inneren Einstellung geschenkt und mit Freude empfangen werden, aber das ist eine andere Geschichte...

Hinter der Frage ‚Was soll ich denn bloß machen?‘ stecken hier eigentlich ganz andere Fragen: „Wo will ich überhaupt hin, was ist mein persönliches Ziel? Wie verbinde ich das, was ich machen will, mit meinem persönlichen Ziel?“

Mir fällt dazu das Beispiel einer Klientin ein, die in der Beziehung zu ihrem Mann viele Aufs und Abs erlebt. Die beiden lieben sich, doch manchmal streiten sie sich heftig. So wie eines Abends, als sie nach Hause kommt und er sie sofort mit einem Problem überfällt, das ihn gerade beschäftigt. Sie aber hat gerade ganz andere Dinge im Kopf, ist erschöpft und nicht in der Lage, freundlich darauf zu reagieren. So kommt es zum Streit – weil beide nicht aufeinander eingehen.

Nach so einem Streit versucht sie dann immer, weil es ihr leidtut, alles sofort glatt zu bügeln, ohne wirklich auf den Streit Bezug zu nehmen. Dann fängt sie an, etwas Tolles zu kochen, das Zimmer aufzuräumen, irgendetwas zu organisieren oder sie fragt ihn, was sie denn einkaufen soll. Sie hofft, dass die Harmonie dadurch zurückkehrt. Aber eigentlich passt die Aktion nicht zur Situation: sie fühlt sich erschöpft, vielleicht auch traurig oder wütend. Ihr Tun überdeckt das, was sie in Wahrheit empfindet, und der Abend geht zwar friedlich weiter, aber sie fühlt sich dennoch unwohl.

Als wir im Gespräch darauf kommen, fragt sie mich: „Ja, was soll ich denn stattdessen machen?“ Und dann finden wir heraus, dass ihr Machen losgelöst ist von ihrer eigenen Wahrnehmung der Gesamtsituation und ihrer Bedürfnisse. Sie hat dann das Gefühl: „Jetzt muss ich sofort etwas machen, dann wird es besser.“

Aber eigentlich stimmt hier die Passung noch nicht, das Machen dockt nicht an dem an, was ihr selbst wichtig ist, was sie fühlt oder an dem Abend braucht. Und auch nicht an dem, was sie von ihm wahrnimmt – weil sie nach dem Streit direkt in ihren Aktionismus übergeht.

 

Was für ein Bedürfnis habe ich?

Das Komplizierte an der Passung kann sein, dass wir in solchen Situationen unser Ziel vielleicht gar nicht kennen. Klar, meine Klientin möchte, dass der Streit aufhört.  Aber weil sie ihre Situation in dem Moment nicht komplett bewusst wahrnimmt, merkt sie auch nicht, dass sie als Nächstes lieber etwas anderes machen möchte: erst einmal zu Hause ankommen und spüren, wie sie sich dabei fühlt, was für ein Bedürfnis sie dann hat, und wie das bei ihm ist. Danach möchte sie ihm zuhören.

Wenn er ihr dann gleich bei ihrem Eintreten von seinem Problem erzählt, ist sie total genervt und kraftlos und kann seine Schilderung nicht richtig aufnehmen. Sie fühlt sich überfordert. Die Frage an sich selbst könnte dann lauten: ‚Was wäre jetzt für mich etwas, was ich brauche und deshalb als erstes machen möchte?‘

Was zum Beispiel besser zu beider Bedürfnissen passen könnte, wäre, dass sie etwas sagt wie: „Es tut mir leid, ich komme hier so abgehetzt rein und du hast etwas auf dem Herzen, auf das ich gar nicht sofort eingehen kann. Ich fühle mich gerade überrollt. Lass uns erst einmal kochen und nach dem Essen in aller Ruhe darüber sprechen.“ Das wäre auch ein Machen ihrerseits, doch eines mit Passung – es würde beiden Bedürfnissen gerecht.

So wie bei ihr passiert es sehr häufig, dass Menschen hoffen, durch eine schnelle Aktion etwas Bestimmtes zu erreichen, aber gleichzeitig dabei vergessen, dass das Machen immer der zweite Schritt ist. Der erste ist die Intention. Sie bestimmt die Richtung, das Ziel des Machens. Oft können das tieferliegende Bedürfnisse sein, wie bei meiner Klientin und ihrem Mann.

Die Situation zwischen den Beiden ist natürlich komplex, und in jedem denkbaren Dialog kann es viele mögliche Reaktionen geben, die die Situation so oder so beeinflussen können. Aber was man bei aller Komplexität im Fall meiner Klientin sagen kann: Wenn es um Passung geht, ist es weder gut, wenn man denkt, man müsse mehr machen, noch wenn man meint, man müsse weniger machen.

Denn mehr ist in diesem Fall tatsächlich nicht mehr. Wenn ich in Bezug auf meine Freundin meine, dass ich jetzt ganz viel machen muss, damit es besser wird, dann schenke ich ihr nicht nur einen Blumenstrauß, sondern vielleicht auch noch eine Schachtel Pralinen, lade sie zusätzlich zum Italiener ein und schenke ihr meine Lieblingsohrringe usw. Doch ist der Konflikt dadurch gelöst? Natürlich nicht, nur der Bezug dazu ist vorerst weg.

Genauso sieht es mit dem weniger aus. Ja, wir sagen zuweilen, weniger sei mehr, aber in diesem Fall passt das auch nicht. Denn es geht eben nicht darum, wie viel ich mache, sondern um die Passung. Ob also das, was ich mache, zur Situation und zu meiner Intention passt, und zwar sowohl zu meiner eigenen inneren Situation als auch zu der in der Umgebung.

 

Was passt zu mir?

Als ich mit einem Bekannten darüber gesprochen habe, zu welchem Thema ich diesmal einen Blogtext schreiben will, hat er mich gefragt, was denn zu „Was soll ich denn bloß machen?“ eine sinnvolle Alternativfrage sein könnte.

Nun, das Machen, nach dem da gefragt wird, ist immer erst der zweite Schritt und nicht der erste. Oft, wenn wir uns unwohl fühlen, ist es zwar so, dass wir dieses Gefühl loswerden wollen. Dann haben wir den Impuls, irgendetwas machen zu wollen, damit wir es loswerden. Das heißt dann aber noch nicht, dass dieser Impuls auch eine zielführende Lösung ergibt.

Eher können wir davon ausgehen, dass eine gute, passende Lösung etwas mit unseren eigenen Bedürfnissen zu tun hat und mit unserer Intention. Wenn wir uns darüber nicht im Klaren sind, sondern einfach irgendetwas machen, dann hilft uns das häufig noch nicht so richtig.

Ich würde deswegen lieber die Frage stellen: „Was will ich denn machen? Was ist mein Ziel dahinter? Und was passtzu mir und zu meinen Bedürfnissen?“

Und noch etwas ist in diesem Zusammenhang wichtig: Wir müssen tatsächlich nicht immer etwas ganz Bestimmtes tun, damit es uns gut geht. Gut für uns ist es vor allem immer dann, wenn wir eine kohärente Erfahrung des Daseins machen. Wenn wir mit uns selbst und unseren Bedürfnissen gut verbunden sind, wissen wir, wann wir etwas machen wollen, wann wir eher sein wollen oder wann wir nichts machen wollen.

Wenn Sie mich also jetzt fragen, „Frau Weinspach, was soll ich denn bloß machen?“, dann frage ich zurück: „Was möchten Sie denn machen?“ Vielleicht antworten Sie dann mit einem spontanen: „Ich weiß es nicht.“

Und wissen Sie was? Ich finde, das wäre eine wirklich gute Antwort. Weil sie Ihnen den Raum gibt, erst einmal zu schauen, in was für einer Situation Sie sich genau befinden. Worum geht es denn da und was wollen Sie gerade erreichen? Oder was brauchen Sie, damit Sie sich besser fühlen? Es ist so viel besser, wenn Sie sich zunächst mit den Motiven Ihrer Gefühlslage beschäftigen, bevor sie irgendetwas machen, nur damit Sie etwas machen.

Deswegen würde ich als nächsten zu Ihnen sagen: „Super, dann können Sie ja anfangen, es herauszufinden. Vielleicht kann ich Ihnen auch helfen bei der Suche nach dem, was Sie eigentlich machen wollen mit Ihrem Leben.“

Und wenn ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, mit diesem Text auch schon ein wenig dazu ermuntern konnte, das herauszufinden, dann freut mich das sehr.